Noch sitzen sie auf der Regierungsbank: Olaf Scholz und Angela Merkel im Bundestag. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Mit den Stimmen der potenziellen Ampelkoalitionäre verschärft der Bundestag die Corona-Vorschriften. Das Wort Lockdown wird vermieden. Jetzt hängt alles von der Union ab.

Berlin - Es war der Tag wichtiger Entscheidungen: Der Bundestag hat am Donnerstag mit den Stimmen der Ampel-Partner von SPD, Grünen und FDP beschlossen, die Coronapolitik in Deutschland auf eine neue Grundlage zu stellen. Später kam die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) per Video mit den Ministerpräsidenten zusammen, um Strategien im Kampf gegen explodierende Infektionszahlen zu entwickeln. Auf die Bürger kommen beträchtliche Einschränkungen zu.

Was hat der Bundestag beschlossen?

Die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ läuft am 25. November aus. Durch Änderungen am Infektionsschutzgesetz soll es aber einen neuen Katalog von Maßnahmen im Kampf gegen das Virus geben. Nach den Vorstellungen der Ampel-Parteien sollen etwa nur noch Geimpfte, Genesene oder Getestete Zugang zum Arbeitsplatz oder öffentlichen Verkehrsmitteln haben. Die Homeoffice-Pflicht kommt zurück, Besucher und Beschäftigte von Pflegeheimen müssen sich zwingend testen. Die Länder können künftig Auflagen oder Verbote für Veranstaltungen in Freizeit, Kultur und Sport verhängen. Dafür müssen aber die jeweiligen Landtage zustimmen. Generelle Schließungen von Schulen, Geschäften oder Gastronomie sowie Ausgangssperren soll es nicht mehr geben.

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Tragen alle Akteure das mit?

Nein. Die Union warf den Ampel-Parteien vor, mit der Beendigung der epidemischen Lage unverantwortlich zu handeln. CDU und CSU drohen damit, die Pläne im Bundesrat zu blockieren. Die Zustimmung der Länderkammer ist erforderlich. Die Union verlangt, neue Lockdowns nicht von vornherein auszuschließen. Hier deutete sich am Abend beim Bund-Länder-Treffen aber ein Kompromiss an: Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der in der Woche ab dem 6. Dezember zum Kanzler einer Ampel-Koalition gewählt werden soll, will rasch nach Amtsantritt gemeinsam mit den Ländern das überarbeitete Gesetz einer Evaluierung unterziehen und falls nötig nachschärfen.

Was haben Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten festgelegt?

Die Bund-Länder-Runde beschloss faktisch einen Lockdown für Ungeimpfte. Begründung: „Bei nicht geimpften Personen verläuft die Corona-Erkrankung wesentlich häufiger schwer. Sie weisen ein deutlich höheres Ansteckungsrisiko für andere auf.“ Überschreitet die Hospitalisierungsrate – also die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Corona-Patienten je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen – den Schwellenwert von drei, sollen die Länder den Zugang zu Veranstaltungen und Einrichtungen in Kultur, Freizeit und Sport auf Geimpfte und Genesene beschränken. Das Gleiche ist für Gastronomie, körpernahe Dienstleistungen und Beherbergungen vorgesehen.

Ausnahmen für Kinder und Jugendliche sind möglich. Nicht aufgeführt ist der Einzelhandel. Zuletzt lag die Hospitalisierungsrate bundesweit bei über fünf. Wird der Schwellenwert von sechs überschritten, müssen auch Geimpfte und Genesene einen negativen Corona-Test vorlegen, um beispielsweise in Kneipen zu kommen. Wird der Schwellenwert von neun überschritten, sollen die Länder nach Zustimmung des jeweiligen Landtags vom gesamten Instrumentarium des Infektionsschutzgesetzes Gebrauch machen. Sie können dann beispielsweise Kontaktbeschränkungen anordnen oder Veranstaltungen untersagen. Auch Bund und Länder unterstützen die zuvor vom Bundestag beschlossenen 3-G-Regeln am Arbeitsplatz sowie in Bussen und Bahnen. Corona-Schnelltests bleiben für die Bürger kostenlos.

Wie geht es mit dem Impfen weiter?

Impfstoff gibt es genug. Der Flaschenhals im System sind unzureichende Impf-Kapazitäten. Das soll sich ändern, Bund und Länder wollen die Angebote massiv ausweiten. Die Chefs der Staatskanzleien sollen gemeinsam mit den Gesundheitsministern rasch Details klären, geplant ist ein „nationaler Kraftakt“. Impfangebote soll es künftig unter anderem von mobilen Impfteams, Impfzentren, Kliniken, Praxen, Gesundheitsämtern und Betriebsärzten geben. Ob künftig auch Apotheker impfen können, bleibt offen. Ziel der Offensive ist es, die Impflücken zu schließen und 27 Millionen Menschen eine Auffrischungsimpfung (Booster) verabreichen zu können. Außerdem sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um auch Kinder zwischen fünf und elf Jahren zu impfen. Dafür stehen allerdings noch die Impfstoff-Zulassung sowie eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission aus.

Wird es eine Impfpflicht geben?

Eine generelle Impfpflicht ist nicht vorgesehen. Die Länder bitten aber den Bund, eine Impfpflicht für Mitarbeiter von Kliniken, Pflegeberufen und Pflegediensten einzuführen. Auch die Ampel-Parteien steuern dies zunehmend an.

Ist es wirklich ausgeschlossen, dass es wieder zu umfassenden Lockdowns kommt?

Die Ampelparteien wollen das vermeiden, die Union will diese Möglichkeit nicht ausschließen. In Sachsen, wo die Corona-Lage besonders dramatisch ist, bereitete Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Bürger am Donnerstag bereits auf radikale Maßnahmen vor: In einer Regierungserklärung kündigte er einen „harten und klaren Wellenbrecher“ für zwei oder drei Wochen an. Das Wort „Lockdown“ vermied er. Details soll die Landesregierung am Freitag beschließen – wenn klar ist, wie der Bundesrat über Änderungen am Infektionsschutzgesetz abgestimmt hat.