Einsam vor pastellfarbenem Grund: Leif Randt Foto: /Zuzanna Kaluzna

Das Buch der Stunde: Leif Randt hat in „Allegro Pastell“ den Algorithmus seiner Generation entschlüsselt. Insgesamt ist die Welt schwer in Ordnung – oder etwa nicht?

Stuttgart - Bisher waren Leif Randts Romane nicht von dieser Welt. Sie spielten in anderen Galaxien oder in fernen Zeiten, in denen die drängendsten gesellschaftlichen Fragen zur allseitigen Zufriedenheit gelöst worden sind. Das unterscheidet diesen Autor ziemlich von seinen Kollegen. Wenn diese in die Zukunft reisen, dann bevorzugt mit dem apokalyptischen Schnellzug, der die Gegenwart auf dem kürzesten Weg mit den Schrecken des Kommenden verbindet. In Leif Randts „Planet Magnon“ dagegen hat ein algorithmisches Computersystem die Herrschaft übernommen. Auf der Basis statistischer Daten regelt es die Rahmenbedingungen des interplanetarischen Zusammenlebens besser, als es die demokratischen Systeme je vermocht hatten. Gewalt, Privateigentum, Kriege gehören einer überwundenen alten Zeit an.

Politische Überzeugungen sind Stilfragen

Mit dem neuen Roman „Allegro Pastell“ ist die literarische Zeitmaschine dieses 1983 geborenen Autors nun mitten in der Gegenwart gelandet. Doch genau betrachtet hat sich seit der Zukunft nicht viel verändert. Auch die Gegend zwischen Frankfurt und Berlin erweist sich als eine geradezu beunruhigend befriedete Welt. Sie wird bewohnt von dem Web-Designer Jerome Daimler und der Schriftstellerin Tanja Arnheim und allen, die ihnen gleichen: elegante, reflektierte, gutaussehende Menschen mit interessanten Berufen, die es ihnen ermöglichen, einen vernünftig gebändigten Hedonismus auszuleben. Sie mögen sich, sofern man sich im anderen spiegeln kann. Tanja schätzt an Jerome, dass er als ihr etwas älteres männliches Pendant durchgeht. Jerome wiederum zählt vor dem Einschlafen gerührt die Frauen, die vermutlich schon einmal ernsthaft in ihn verliebt gewesen waren und deren Gefühle er nicht erwidert hat.

Wo sich frühere Generationen über einen kritischen Impuls definiert haben, der auf eine andere Gesellschaft zielte, begnügen sich die Randt-Figuren der Gegenwart mit den Unterscheidungsangeboten innerhalb des Bestehenden. Sie lieben es, Dinge exakt so zu nutzen, wie sie ihnen angeboten werden. Und wenn sie das Telefon im nachhaltigkeitsmobilen Tesla des Autoverleihs ihres Vertrauens angeschlossen haben, stellen sie fest, dass die Spotify-Playlist ihnen besser gefällt als gedacht.

Dass es andere nicht so gut getroffen haben könnten, blenden sie eher aus. Sie haben genug damit zu tun, den eigenen Ansprüchen in dieser harmonischen Sphäre gähnenden Glücks gerecht zu werden. Politische Überzeugungen sind Stilfragen, eine Sache für die Algorithmen eines Wahlomats, oder sie bleiben bewusst im Ungefähren, um weiter so ergebnisoffene Romane schreiben zu können, mit denen Tanja Arnheim den skeptisch vernetzten Lebensnerv der Millenials um sie herum trifft.

Utopie des Einverstandenseins

Das, wovon Romane einmal erzählt haben, wie der Einzelne mit einer ihm entgegenstehenden Gesellschaft ringt, ist einer effektiven Sozialpraxis gewichen, die das eigene Denken und Fühlen einer permanenten Erfolgskontrolle unterwirft, als deren Tools die sozialen Medien fungieren. Richtig ernst wird es, wenn man droht, bei einer Party mit seiner Musikauswahl nicht positiv aufzufallen.

Die Liebesgeschichte zwischen Tanja Arnheim und Jerome Daimler, vom Verlag schlau-kokett als „Germany’s next Lovestory“ beworben, ist eine zweiten Grades: Was sich zwischen den beiden tatsächlich abspielt, ist weniger von Belang, als was sich daraus für das eigene Selbstgefühl ableiten lässt. Auf der Bühne ihres Lebens sind sie Darsteller und Regisseur zugleich.

Das könnte man nun mit erhobenem Zeigefinger daher erzählen: die Feier schöner Oberflächen, wenn Jerome unter der gleißenden Sonne des Klimawandels vor einem Elektro-SUV soziale Rollen probt; das dem neuesten Paarungsdesign abgemessene Liebesleben; der originell affirmative Umgang mit den sozialen Codes von Marken, Orten oder Körperdesign; die nüchterne sexuelle Selbstbehauptung. Nicht auszudenken, was eine Autorin wie Sybille Berg daraus gemacht hätte.

Doch der totalen Gegenwart, die „Allegro Pastell“ bis in die sprachliche Mikrozelle des „alles gut“ detailgenau ins Bild bannt, entspricht, dass der Beobachter selbst keinen Standpunkt außerhalb bezieht. Weder ist der Roman das affirmative Manifest eines Zeitgefühls, noch dessen Gegenteil. So viel Autonomie muss sein, dass es dem Leser überlassen bleibt, zu entscheiden, ob er sich als Teil einer Utopie des Einverstandenseins oder eines Horrorgemäldes wiederfinden will. Die einen, die in den Spiegel dieses Buches blicken, werden sich zufrieden die Frisur richten, die anderen die Haare raufen. Lesen sollten es alle, es ist ein Archiv der Jetztzeit – bei Spotify gibt es die dazugehörige Playlist.

Leif Randt: Allegro Pastell. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 288 Seiten, 22 Euro.