Heimischen Arten sind zwei bis drei Wochen früher dran als sonst
Untertürkheim - Morgens zwitschert es, der Balzgesang der Singvögel weckt die Bürger und etliche Vögel tragen Äste und anderes Nistmaterial zusammen. Die Balz- und Brutsaison hat bereits begonnen. Früher als gewohnt. Vogelexperte Stefan Bosch gibt Auskunft, wie die Bürgerinnen und Bürger die gefiederten Freunde bei der Aufzucht der Jungen unterstützen können.
Herr Bosch, hat die Brutzeit dieses Jahr früher begonnen?
Der milde Winter hat viele Vogelarten gut zwei bis drei Wochen früher mit der Balz beginnen lassen und manche Teilzieher wie Hausrotschwanz oder Zilpzalp kommen zeitiger aus ihren Winterquartieren aus Südeuropa zurück. Seit Jahren beobachten Vogelforscher auf der ganzen Welt, dass der Klimawandel die über lange Zeit eingespielten und bewährten Zug- und Brutrhythmen durcheinander wirbelt, und dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt.
Überall sieht man Vögel Zweige sammeln, Nester bauen und Nistplätze einrichten. Beginnen alle Vögel bereits wieder mit der Aufzucht?
Der Heimzug der Zugvögel ist ein dynamisches Geschehen, das sich über Wochen und Monate hinzieht. Die ersten Rückkehrer wie Bachstelze und Feldlerche sind jetzt Mitte März schon wieder zurückgekehrt. Rauch- und Mehlschwalben kommen im April, Mauersegler Anfang Mai und Grauschnäpper und Pirol erst im Laufe des Mais. Es ist also viel in Bewegung und es lohnt sich, in den nächsten Wochen aufmerksam die „Neuzugänge“ zu beobachten. Mit dem Nestbau beschäftigt sind jetzt bereits Kohl- und Blaumeisen, Kleiber, Amseln und Stare. Sie kann man beim Sammeln, Transportieren und beim Bau oder Ausbau der Nester momentan sehen. Auch die Krähenvögel bauen ihre Nester bereits.
Welche Funktion hat dabei der Gesang der Vögel?
Meistens singen die Vogelmännchen, um ein Revier abzugrenzen und dieses gegen Artgenossen zu verteidigen, aber auch um ein Weibchen anzulocken und als Partnerin – -zumindest für eine Brutsaison – zu halten.
Ist der Gesang des Einzelvogels jedes Jahr gleich oder lernen einige Arten etwas dazu?
Jede Vogelart hat ihren arttypischen Gesang, der in einer bestimmten Jugendphase von erwachsenen „Vorsängern“ erlernt wird. Außerdem gibt es regionale Dialekte und manche Männchen variieren den Gesang, das macht sie bei der Damenwelt attraktiver. Manche Arten wie Kohlmeise, Star oder Eichelhäher sind als Imitatoren bekannt, die Rufe und Gesänge anderer Arten in ihren Gesang einbauen. Manchmal schleichen sich auch technische Geräusche wie Telefonklingeln, Trillerpfeifen oder Fahrgeräusche in den Gesang der Vögel ein.
Wie können wir Menschen beim Nestbau helfen?
Vögel bauen ihre Nester freistehend oder in Höhlen. Für die „Freibrüter“ wie Amsel, Grün- und Distelfink sind Büsche und Hecken mit Liguster, Schlehe und Weißdorn, aber auch Alleebäume oder eine efeubewachsene Hauswand sehr wichtig. Außerdem plädiere ich für ein Kruschteckle im Garten, in dem es trockene Grasstängel, moosbedeckte Steine und andere nützliche Baumaterialien gibt, die die Vögel zum Nestbau dringend benötigen.
Wo und für wen kann man Nistkästen aufhängen? Worauf sollten man achten?
Höhlenbrüter wie die Meisen, Kleiber oder Star brauchen entweder Baum- oder Spechthöhlen in größeren Bäumen oder ersatzweise Nistkästen. Sie kann man an Bäumen, an der Hauswand oder dem Carport aufhängen, am besten in Augenhöhe oder höher und das Einflugloch Richtung Südost ausgerichtet. Nistkästen kann man aus Holz selbst zimmern oder fertig aus langlebigem Holzbeton kaufen. Mit unterschiedlichen Fluglochweiten kann man verschiedene Vogelarten gezielt fördern. Kohlmeise und Kleiber lieben Fluglöcher mit 32 Millimeter, Blaumeise mit 28 Millimeter und Stare mit 45 Millimeter Lochweite.
Sind Angebote für Schwalben in Stuttgart sinnvoll?
Rauchschwalben wird es in der Stadt allenfalls an Bauern- und Pferdehöfen geben. Innerhalb von Städten lebt noch die Mehlschwalbe, die unterm Dachtrauf halbkugelige Lehmnester baut. Wichtiger noch als Nisthilfen wäre Toleranz, um die Vögel dort brüten zu lassen, wo sie sich geeignete Nistplätze selbst aussuchen. Leider werden Schwalbennester immer wieder unzulässigerweise entfernt, obwohl sich Probleme beispielsweise mit Kot an der Hauswand leicht und elegant lösen ließen. Wo Mehlschwalben schon brüten, kann man mit Kunstnestern bestehende Kolonien vergrößern.
Macht es Sinn, weiter Vogelfutter bereitzustellen, um den Vogel-Eltern zu helfen?
Das Thema Ganzjahresfütterung ist nach wie vor heftig kontrovers diskutiert. Da Singvögel zur Jungenaufzucht vor allem proteinreiche Nahrung wie Raupen, Würmer, Insekten, Läuse etc. benötigen, wäre ein natürliches Angebot in einem naturnahen und giftfreien Garten die wichtigste und natürlichste Nahrungsgrundlage. Das am Futterhaus meistens angebotene Körner- und Fettfutter kann allenfalls eine Ergänzung sein.
Das Interview führte Mathias Kuhn.