Die jährlich rund 1600 Demonstrationen in der Stuttgarter Innenstadt schlagen bei den Händlern und Wirten ins Kontor. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In einem Brief an Oberbürgermeister Frank Nopper fordern IHK, CIS, DEHOGA und der Handelsverband einen anderen Umgang mit Demonstrationen in der Innenstadt.

Die Lage spitzt sich zu. Handel, Gastro und Kulturbetriebe setzten einen verzweifelten Notruf an OB Frank Nopper ab. „Nach zweieinhalb Jahren pandemiebedingter Umsatzverluste stehen die Unternehmen des Einzelhandels, der Hotellerie und Gastronomie, der Freizeit- und Kulturwirtschaft und vieler anderer Branchen finanziell mit dem Rücken zur Wand“, heißt es in dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt und von IHK-Präsidentin Marjoke Breuning, Sabine Hagmann (Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes), Citymanager Sven Hahn sowie von Markus Hofherr (DEHOGA) unterzeichnet ist.

Die wichtigste Umsatzzeit bricht an

Die Reserven vieler Betriebe seien aufgezehrt, staatliche Unterstützung könnten die Ausfälle nicht auffangen, heißt es in dem Schreiben weiter, in dem von einer „dramatischen Situation“ gesprochen wird. Der Zeitpunkt des Hilferufs ist nachvollziehbar. Die „wichtigste“ Umsatzzeit bricht an: das Weihnachtsgeschäft, das bei manchen Händlern bis zu 60 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht. Doch nun sei die Lage noch brisanter. So heißt es im Brief auch: „Das Weihnachtsgeschäft ist deshalb dieses Jahr so wichtig für das Überleben der Unternehmen wie kaum jemals zuvor. Wenn nun weitere Umsätze ausfallen, werden Arbeitsplatzabbau, Betriebsschließungen und Leerstände unweigerlich noch zunehmen – auch viele Traditionsgeschäfte stehen vor existenziellen Problemen.“ Erstes Opfer ist Spielwaren Reiterle, ehemals Kurtz. Inhaber Bernd Stocker erklärte dieser Zeitung, „in den kommenden Wochen zu schließen“.

Der frühere Spielwaren Kurtz muss schließen

Der Verweis auf die Traditionsgeschäfte ist auch rückblickend zu betrachten. Denn IHK-Präsidentin Breuning musste zuletzt die Schließung ihres Geschäftes Maute Benger auf der Königstraße ankündigen. Nicht zuletzt aus den genannten Gründen. Doch nun drohen offenbar weitere Schließungen. Nach der Lage der Dinge leiden alle unter den gleichen Problemen. Eines davon sei die schwindende Attraktivität der Innenstadt – ausgelöst von einer Vielzahl von Demonstrationen. Sie hätten „fatale Auswirkungen“. „Jüngstes Beispiel sind die Demos vergangenen Samstag auf dem Marktplatz“, schreiben die Verfasser des Briefes. Die angrenzenden Unternehmen sowie deren Kunden seien zur Haupteinkaufszeit mit Polizeiwagen, Absperrungen, berittener Polizei, Polizeikräften in Kampfmontur und Wasserwerfern konfrontiert gewesen. Mehr noch: „Die Auswirkungen beschränkten sich dabei nicht auf den Marktplatz, da die Polizeikräfte sich im Vorfeld beispielsweise in der Calwer Straße sammelten und weite Teile der Innenstadt in die Vorkommnisse einbezogen waren.“ All das wirke auf die Besucher abschreckend.

Demos nicht immer in der Innenstadt

In einem flammenden Appell an die Verwaltung schreiben die so Geplagten weiter: „Nutzen Sie bitte die Spielräume, die der Verwaltung bei der Gestaltung von Demonstrationen offenstehen. Wirken Sie bitte stärker auf die Veranstalter ein, die Demonstrationszüge so zu gestalten, dass deren Last nicht immer auf die gleichen Schultern verteilt wird! Sind nicht auch andere Orte denkbar und mindestens genauso publikumswirksam? Muss dafür bei den Veranstaltern – auch unter Gemeinwohlgesichtspunkten – nicht stärker geworben werden?“ Damit spielen die Briefschreiber indirekt auf die bisher starre Haltung von Ordnungsbürgermeister Clemens Maier an. Er vertritt die Meinung, dass es bei den Demonstrationen keinerlei Spielräume gebe. Die Briefschreiber und deren Juristen sehen das jedoch ganz anders. Beispiele aus anderen Städten, so argumentieren sie, würden zeigen, dass es sehr Wohl Möglichkeiten gebe, das Recht zur Versammlungsfreiheit mit den Interessen der Gewerbetreibenden und ihrer Kunden in Einklang zu bringen.

Dazu lässt OB-Sprecherin Susanne Kaufmann ausrichten: „Der OB nimmt die Sorgen des örtlichen Handels sehr ernst. Es ist ihm ein großes Anliegen, den lokalen Einzelhandel bestmöglich zu unterstützen. Selbstverständlich wird Herr Dr. Nopper das Gespräch mit den Verfassern des Briefes suchen, auch um gemeinsame Lösungsansätze zu erörtern. Die Stadtverwaltung wird sich dabei aber innerhalb der Grenzen des Versammlungsrechts bewegen müssen.“