Der britische Premier Boris Johnson im Unterhaus in London Foto: AFP

Im Eilverfahren ist in London der neue Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer genehmigt worden. Bereits von nächster Woche an sollen die ersten Impfungen vorgenommen werden. Premier Boris Johnson und seine Minister wähnen sich auf dem Siegespfad.

London - Mit einer „ganz fantastischen Nachricht“ wartete am Mittwoch der britische Premierminister Boris Johnson auf. Sein Land, das laut Johnson „immer neue Weltrekorde“ aufstellt, hat diesmal wirklich die Nase vorn. Zumindest in der westlichen Welt ist Großbritannien die erste Nation, die grünes Licht gibt für einen Impfstoff gegen Covid-19. Während man in der EU und den USA noch auf entsprechende Genehmigungen warten muss, haben die britischen Aufsichtsbehörden am Mittwoch die Erlaubnis zum Einsatz des Biontec/Pfizer-Impfstoffs im Vereinigten Königreich erteilt.

Die Entscheidung hat außerhalb Großbritanniens politischen Streit ausgelöst. Das Vorgehen Londons sei überhastet und problematisch, betont der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte: „Es geht nicht darum, irgendwie erster zu sein.“ Entscheidend sei vielmehr, sichere und wirksame Impfstoffe zu haben.

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Brexit sei Grund für schnelle Entscheidung

Auf den Bescheid der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte man in London nicht warten wollen. Die EMA will im Dezember über die Anträge der Hersteller Moderna sowie Biontech/Pfizer entscheiden. Jeder EU-Staat kann eine Prüfung von Arzneien der eigenen Aufsichtsbehörde übertragen. Dennoch tönte der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, die schnelle britische Entscheidung sei nur möglich gewesen, „weil wir die EU verlassen haben“. Auch Gesundheitsminister Matt Hancock behauptete, Londons zeitlicher Vorsprung sei „dem Brexit“ zu verdanken.

Bereits Anfang nächster Woche sollen in Großbritannien die ersten Personen mit dem Präparat geimpft werden. Bis Weihnachten sollen es schon Zehntausende sein. Geplant ist, eine praktisch pausenlose Massen-Impfung zu organisieren, an der Hausärzte, Klinikpersonal, Apotheker, Soldaten und zahllose Freiwillige beteiligt wären. Sportstadien und Ausstellungshallen werden vorbereitet für diese Aktion. Sobald der Impfstoff in den nächsten Tagen aus Belgien eintreffe, wolle man unmittelbar mit dem Impfen beginnen, versicherte Gesundheitsminister Matt Hancock. Als erste Ladung werden 800 000 Dosen erwartet. Insgesamt hat London bei Biontech/Pfizer 40 Millionen Dosen bestellt. „Unser Gesundheitsdienst steht bereit“, meinte Hancock.

Briten erleichtert

Ein Verbund von fünfzig Krankenhäusern werde die ersten Impfungen verabreichen. Gleichzeitig würden überall „spezielle Impf-Zentren“ eingerichtet. Von Ostern nächsten Jahres an, verhieß der Minister, werde in Großbritannien wieder „alles besser“ werden. Den nächsten Sommer könne dann „jedermann genießen“. Man sei auf dem Weg „zurück zur Normalität“.

Froh und sichtlich erleichtert reagierten viele Briten auf die Nachricht von der Impf-Front. Für die Regierung war dieser Tag ein Tag des Triumphs. „Kein anderer Staat“ habe schließlich „so viel in die Entwicklung von Impfstoffen investiert“ wie Großbritannien, erklärte der Gesundheitsminister. Wirtschaftsminister Alok Sharma jubelte, nun führe sein Land „die Menschheit im Kampf gegen diese Seuche an“. Bisher hatte Johnsons Regierung wenig Anlass gehabt zu derart triumphalen Tönen. Eher sah sie sich für zögerliche und verspätete Maßnahmen an den Pranger gestellt.

Das Land meldete die meisten Corona-Opfer in Europa. Mehr als 75 000 Menschen sollen laut Statistik im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sein. Auf einen rasch einsetzbaren Impfstoff hatte Johnson seit Langem gesetzt, zumal er wegen des Lockdowns zunehmend unter Druck kam.

Mitarbeiter unter hohem Druck

Londons liberale Zeitung „The Guardian“ berichtete, dass „hohe Führungskräfte“ des Gesundheitswesens sich „unter beträchtlichem politischem Druck“ seitens der Regierung befunden hätten, ein Impfprogramm noch vor Weihnachten in Gang zu bringen. Die Vorsitzende der Zulassungsbehörde, June Raine, beteuerte aber, dass niemand „gepfuscht“ habe, um Zeit zu sparen.

Deutschland und die EU bleiben bei ihrer bisherigen Linie der genauen Prüfung. In Baden-Württemberg sind unterdessen die Standorte für 50 Kreisimpfzentren festgelegt worden. Sie sollen am 15. Januar betriebsbereit sein.