Lauter Männer, so kennt man den Reiterzug von Weingarten. Das wird sich ändern. Foto: imago/Arnulf Hettrich

Am Blutritt in Weingarten dürfen mit dem Segen der Kirche nun Frauen teilnehmen – nach bald 500 Jahren.

Weingarten/Rottenburg - Die Basilika von Weingarten ist ein Kirchendenkmal ersten Ranges, und wie es sich für solch einen Bau gehört, wird darin eine außergewöhnliche Reliquie bewahrt. Ein getrockneter Lehmklumpen ist es, der einen Tropfen Blutes von Jesus Christus persönlich in sich einschließt – so glauben es viele Katholiken. Einmal jährlich im Mai an einem Freitag wird die Reliquie aus ihrem Schrein geholt und von einem Mann hoch zu Ross über Felder und Flure getragen. Der Blutreiter ist nicht allein, ihn begleiteten beim letzten großen Feiertag dieser Art 2019 mehr als 2100 weitere Reiter sowie eine stattliche Zahl von Blasmusikern. Es handle sich, wird von den Organisatoren stets betont, um die größte Reiterprozession Europas.

Weshalb ausschließlich Männer den Zug, dessen erste schriftliche Erwähnung von 1529 datiert, bilden durften, ließ sich in der jüngeren Vergangenheit immer schwerer begründen. Von einem „jahrelangen Diskussionsprozess“ spricht die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Am Mittwoch wartete sie mit einer Nachricht auf, für die das Wort Paukenschlag taugt. „Ab dem Blutfreitag 2021 kann jede Blutreitergruppe selbst bestimmen, ob Frauen gemeinsam mit den Männern am Tag nach Christi Himmelfahrt durch die Stadt und die umliegenden Fluren reiten“, steht in einer Pressemitteilung. Formal beschlossen hat das der Kirchengemeinderat St. Martin in Weingarten. Möglicherweise, fügt die Diözese hinzu, könne die Öffnung des Männerreigens „auch ein Modell für andere Reformen in der katholischen Kirche“ sein.

Der Oberbürgermeister äußert sich erfreut

Die Nachricht löste sofort vielstimmige Resonanz aus. Erfreut äußerte sich Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald (parteilos): „Die Öffnung des Blutritts für Frauen ist aus meiner Sicht ein zeitgemäßer Schritt, zu dem ich die katholische Kirche nur beglückwünschen kann.“ Er sehe „ein deutliches Signal für Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz weit über den Blutritt hinaus.“ Die Stadt mischt sich in die Organisation des kirchlichen Zuges nicht ein, empfängt aber stets gern eine vielfältige Prominenz aus Ministern, Abgeordneten oder Wirtschaftsvertretern. Rund 20 000 Zuschauer säumen am Blutfreitag die Straßen. Nur im vergangen Mai war das nicht so. Corona-bedingt fiel der große Blutritt zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg aus – eine Miniprozession, die Züge eines Geheimtreffens trug, musste genügen.

Stimmen gibt es aber auch, die Zweifel artikulieren, ob es sich bei der Einladung an die Frauen nicht vielmehr um einen Akt der Not denn der Moderne handelt. Denn es gab schon Jahre, in denen mehr als 3000 Reiter aus ganz Baden-Württemberg ihre Pferde vor der Basilika sattelten. Langsam aber stetig sank die Beteiligung.

Die strenge Kleiderordnung gilt auch für Frauen

Der nächste Blutfreitag ist für den 14. Mai nächsten Jahres terminiert. Nicht nur wegen der aktuell unsicheren Pandemiesituation muss hinter die erstmalige Beteiligungen einer hohen Zahl von Reiterinnen noch ein Fragezeichen gesetzt werden. Die Kirchengemeinderäte von Weingarten haben ihre Stadtrevolution aus Infektionsschutzgründen nämlich nicht mit den rund 100 Blutreitergruppen persönlich absprechen können. Jede Männergruppe, so lautet deswegen der ganze Beschluss, darf auch entscheiden, dass sie doch lieber unter ihresgleichen bleibt. Zuletzt könnte da noch ein modisches Hemmnis wirken. Optisch soll sich der Zug nicht verändern. Auch für Frauen, die wollen, sind damit Frack und Zylinder, weiße Bluse und schwarze Lackschuhe obligatorisch.