Opfer von Kindesmissbrauch können sich oft an niemanden wenden. Foto: dpa/Jan Woitas

Die Statistik zu Darstellungen sexualisierter Gewalt steigt sprunghaft. 40 Prozent der Tatverdächtigen sind selbst Jugendliche. Woran liegt das?

Die Zahl der Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch steigt enorm: Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als doppelt so viele solcher Fälle erfasst wie im Vorjahr. Mehr als 39 000 solcher Bilder und Filme wurden den Sicherheitsbehörden 2021 bekannt, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, am Montag in Berlin erklärte. Das entspricht einer Zunahme von 108,8 Prozent. Unter dem Begriff werden Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen erfasst.

Auch die Zahl der Opfer sexueller Gewalt ist gestiegen. Die Sonderauswertung ergab 17 704 solcher Fälle, was einem Wachstum von knapp fünf Prozent entspricht. Darunter sind 2281 Kinder unter sechs Jahre. Dies bedeute, dass in Deutschland jeden Tag 49 Kinder Opfer solcher Straftaten würden.

118 Kinder wurden keine sechs Jahre alt

148 Kinder wurden 2021 getötet – die meisten von ihnen, 118, erlebten ihren sechsten Geburtstag nicht mehr. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken, genau wie die der Opfer von Misshandlung. Sie lag bei 4465.

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Die Statistik besonders beim Missbrauch macht den Ermittlern Probleme. Naturgemäß haben diese Delikte ein hohes Dunkelfeld, weil sie im Verborgenen geschehen und sich die Opfer an niemanden wenden. Damit bleibt die wirkliche Dimension der Gewalt unerfasst. Die neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, kritisierte dies und forderte eine entsprechende Forschung zu diesem Thema, da sonst aus den bekannt gewordenen Zahlen keine seriösen Rückschlüsse zu ziehen seien. „Wir haben bis heute keine verlässlichen Zahlen zum Dunkelfeld“, sagte sie. Wegen der fehlenden Bezugsgrößen lasse sich nicht sagen, ob die Ermittlungen zu sexueller Gewalt derzeit erfolgreich seien oder nicht. Claus, die erst seit März im Amt ist, sprach von einem „Skandal“. Sie forderte die Bundesregierung auf, ein Forschungszentrum einzurichten und zu finanzieren. So könnten kontinuierlich Analysedaten zum Dunkelfeld erhoben werden.

Jugendliche werden selbst zu Tätern

Die Statistik hat derzeit noch ein weiteres Problem: Der starke Anstieg von Darstellung sexualisierter Gewalt geht zu gut 40 Prozent auf Jugendliche selbst zurück. Sie verbreiten offensichtlich häufig aus Unwissenheit oder Unbedachtheit Darstellungen beispielsweise in Chatgruppen von Messengerdiensten oder in sozialen Netzwerken – was strafrechtlich relevant ist.

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BKA-Chef Münch sagte, die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter den Tatverdächtigen habe sich seit 2018 mehr als verzehnfacht. Münch sprach sich dafür aus, dass Kinder und Jugendliche zu mehr Medienkompetenz erzogen werden müssten, und schlägt auch eine Differenzierung nach Tätergruppen bei der Strafverfolgung vor.