Der Wecker klingelt oft früher als für die meisten Menschen gut wäre. Foto: Adobe Stock/lenets_tan

Viele Menschen leben gegen ihre innere Uhr – und müssen daher gegen einen täglichen Jetlag ankämpfen. Der Chronobiologe Thomas Kantermann erklärt im Interview, wie es besser geht.

Stuttgart - Unter der Woche klingelt der Wecker, am Wochenende wird ausgeschlafen. Das ist nicht gesund, sagt der Chronobiologe Thomas Kantermann im Interview. Denn unsere innere Uhr ticke immer gleich. Kantermann ist Chef der Firma SynOpus und Professor für Gesundheitspsychologie an der privaten FOM – Hochschule für Oekonomie und Management in Essen.

Herr Kantermann, Sie würden alle Wecker am liebsten abschaffen. Warum?

80 Prozent der Deutschen kommen morgens ohne Wecker nicht aus dem Bett. Warum? Weil sich ihr Körper einfach noch im Tiefschlaf befindet und dringend mehr Schlaf bräuchte. Die innere Uhr würde uns noch nicht wecken. Das bedeutet, unsere Kernkörpertemperatur ist noch nicht angestiegen. Und wir haben noch zu viel Melatonin im Blut, ein Signal der biologischen Nacht für den Körper. Wenn wir trotzdem aufstehen, fühlt sich das nicht gut an. Und auf Dauer riskieren wir einen sozialen Jetlag.

Normalerweise gibt es einen Jetlag, wenn man von einer Zeitzone in die nächste reist.

Jetlag bedeutet nichts anderes, als dass der biologische Rhythmus gestört wird. Natürlich sind die Auswirkungen extremer, wenn ich in die USA fliege, als wenn mein Wecker mich jeden Tag eine Stunde zu früh weckt. Aber bei beidem ignoriere ich die Signale meiner inneren Uhr.

Wie genau funktioniert diese innere Uhr?

Die ersten Lebewesen auf unserem Planeten waren Einzeller. Sie mussten Nahrung finden und aufnehmen, verdauen, sich fortpflanzen und ausruhen. Das kann nicht alles gleichzeitig ablaufen. Tagsüber ist es einfacher ist, Nahrung zu finden. Und nachts können zum Beispiel Zellen oder die DNA besser repariert werden, da die UV-Strahlung der Sonne fehlt. Der Rhythmus für diese Abläufe wird daher durch den Wechsel von Tag und Nacht bestimmt. Und so funktioniert unsere innere Uhr bis heute.

Was passiert, wenn wir diese innere Uhr ignorieren und bis spätabends arbeiten oder morgens im Dunkeln aufstehen?

Wer dauerhaft zu wenig oder zur falschen Zeit schläft, stellt seinen Körper vor große Herausforderungen. Langfristig kann das zu Schlafstörungen führen, zu Depressionen, zu Herz-Kreislauf- oder Stoffwechsel-Problemen. Deshalb vermute ich auch, dass Menschen umso stärker altern, je stärker sie gegen die innere Uhr leben.

Lesen Sie hier: Die innere Uhr hat nicht mehr viel zu melden

Arbeitsplatz und Schule geben aber einen Tagesablauf vor, der mit der inneren Uhr oft nicht vereinbar ist.

Nach der inneren Uhr zu leben bedeutet ja nicht, dass wir alle bei Sonnenaufgang aufstehen und bei Sonnenuntergang ins Bett gehen sollen. Aber wir sollten wieder stärker auf unsere innere Uhr hören. Wir brauchen tagsüber und insbesondere bis zur Mittagszeit so viel Tageslicht wie möglich. Und abends schalten wir so wenig Kunstlicht ein, wie nötig. Also Lampen dimmen, Kerzen anzünden und bloß nicht im Bett noch auf dem Smartphone oder dem Tablet bei diesem blauen Licht lesen. Auf einen Wecker sollten wir so oft es geht verzichten.

Und jeder kommt zur Arbeit, wann er will?

Wir haben vor einiger Zeit eine Firma begleitet, die ihre Mitarbeiter tatsächlich mehrere Wochen lang ohne Wecker hat aufstehen lassen. Was ist passiert? Sie haben lediglich die Gleitzeit ausgeschöpft, die ihnen ohnehin schon möglich war. Nur haben sie vielleicht nicht mehr um sieben Uhr angefangen, sondern um neun Uhr. Und die Mitarbeiter waren deutlich zufriedener als zuvor.

Flexible Arbeitszeiten funktionieren nicht überall. Was können Firmen sonst noch tun?

Die Deutschen sind im Schnitt 15 bis 30 Minuten täglich draußen. Das ist für die meisten viel zu wenig. Es ist also gut, wenn die Mitarbeiter ihre Frühstücks- oder Mittagspausen draußen verbringen können. Auch Arbeitsplätze direkt am Fenster helfen – sofern die Scheiben nicht dreifach verglast sind oder ständig abgedunkelt werden.

Und wie sieht es bei Schichtarbeit aus?

Wo immer möglich, sollte Schichtarbeit abgeschafft werden. Sie ist die größte Belastung für die innere Uhr. Wo das nicht geht, etwa in Krankenhäusern, sollte man versuchen, für die Nachtschichten Menschen einzuteilen, die ohnehin später ins Bett gehen. Es ticken ja nicht alle inneren Uhren gleich. Und es kann helfen, am Anfang der Nacht mit hellem Licht zu arbeiten und dieses gegen Ende der Schicht langsam zu dimmen. Wer dann noch mit Sonnenbrille nach Hause geht, sollte besser einschlafen können.

Lesen Sie hier: Forscher warnen vor ewiger Sommerzeit

Viele kompensieren den Schlafmangel unter der Woche durch Ausschlafen am Wochenende. Ist das eine gute Idee?

Wer müde ist, sollte immer die Möglichkeit nutzen, zu schlafen. Allerdings bringt das Ausschlafen natürlich auch den Rhythmus durcheinander. Die Mahlzeiten verschieben sich, darauf ist der Stoffwechsel nicht eingestellt. Und am Sonntagabend schläft man dann später ein, weil man ja morgens ausgeschlafen hat – und schon braucht man montags wieder einen Wecker. Am besten wäre es also, die ganze Woche über auszuschlafen. Also auf die innere Uhr hören und zu versuchen, etwas früher ins Bett zu gehen – vor allem am Freitagabend, um sich von der Woche zu erholen. Dann kommt man am Samstag auch weniger in den Ausschlaf-Modus.

Sollte der Rollladen für einen erholsamen Schlaf offen oder zu sein?

Nachts schlafen wir umso besser, je dunkler es ist. Deshalb sind geschlossene Rollläden oder Vorhänge auf jeden Fall gut. Im Idealfall sollten diese dann, wenn es hell wird, automatisch hochfahren, damit das Tageslicht uns weckt.