Langweilig? Schule besteht nicht nur aus Tuschen und Turnen. Foto: dpa/Marcel Kusch

Längst nicht alle Kinder gehen gerne zur Schule. Warum das so ist und was Eltern tun können, wenn das Kind die Schule langweilig findet.

Als die Tochter vor eineinhalb Jahren eingeschult wurde, hörte sie zunächst fast täglich die Frage: „Und wie gefällt dir die Schule?“ Nachbarn, Freunde, Großeltern, alle wollten wissen, wie es denn nun sei in der Schule. „Gut“, sagte sie monoton. Nicht mehr und nicht weniger, einfach jedes Mal „gut“.

Irgendwann, in einer ruhigen Minute zu zweit, fragte die Mutter sie: „Sag mal, gefällt dir die Schule wirklich? Wenn es nicht so wäre, dürftest du mir das sagen.“ Die Tochter atmet auf: „Langweilig, die Schule ist langweilig.“ Seitdem erzählt sie jedem, der danach fragt, wie langweilig die Schule sei.

Der Übergang von Kita zu Schule ist hart

Wie können die Eltern ihrer Tochter nun helfen? Oder ist es vielleicht ganz normal, dass Kinder die Schule nicht mögen?

Es gilt, erst einmal anzuerkennen, was für ein krasser Schritt das ist, den das Kind da gegangen ist, als es von der Kita in die Schule gewechselt ist.

Rückblende: Abschlussfeier in der Kita. Einen ganzen Tag lang sind die Vorschulkinder auf einem Ausflug im Dino-Park, es gibt eine Schatzsuche und ein Büfett für die Kinder. Am Abend werden die Kinder von ihren Eltern abgeholt. Auch die Tochter, die Schule einige Monate später als langweilig bezeichnen wird, läuft strahlend auf ihre Mutter zu, als ihr Name aufgerufen wird.

Eltern erinnern sich an verdrängte Emotionen

Rechts und links des Weges, auf dem das Kind über den Hof der Kita läuft, stehen die Erzieherinnen und Erzieher und applaudieren. „Ich habe heute noch Tränen der Rührung in den Augen, wenn ich mich an das Strahlen im Gesicht meiner Tochter, ihren Stolz und die liebevolle Zuwendung durch die Erzieherinnen erinnere“, erzählt die Mutter, „das war ganz besonders. Für meine Tochter und für mich.“

Und die Fallhöhe zur Schule ist entsprechend hoch.

Saskia Niechzial ist Lehrerin und Mutter dreier Kinder. Im sozialen Netzwerk Instagram veröffentlicht sie unter dem Namen „Liniert kariert“ Tipps für Lehrkräfte und Eltern zur „Schule auf Augenhöhe“. Ihr folgen über 100 000 Menschen.

Niechzial erzählt: „Die meisten Zuschriften, die ich bekomme, beschäftigen sich mit dem Übergang von der Kita zur Schule.“ In Deutschland sei dieser Schritt ein harter Wechsel. Der neue Ort, die neuen Kinder, eine neue Bezugsperson. „Übergänge sind für Menschen immer eine Herausforderung“, erklärt sie.

Ein wichtiger Tipp, den die Instagram-Lehrerin hat: „Schaut als Eltern auf euch selbst. Da kommen oft Emotionen hoch, die Eltern aus gutem Grund nach hinten geschoben haben.“ Eltern erinnerten sich daran, dass sie Belastendes in der Schule erlebt hätten und projizierten das auf ihr Kind, beschreibt Niechzial.

Starke Bindung ist wichtig

„Es ist vielfach nachgewiesen, dass jede Form von Lernen und Wissenserwerb am besten funktioniert auf der Basis funktionierender Beziehungen und Bindung“, sagt Nora Imlau im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie hat zahlreiche Bücher über Familie, Elternschaft und Erziehung geschrieben und ist selbst Mutter von vier Kindern. In ihrem Buch „In guten Händen: Wie wir ein starkes Bindungsnetz für unsere Kinder knüpfen“ geht es darum, wie auch die Schule ein Teil des Netzes aus Beziehung und Bindung ist, das Kinder brauchen.

„Als Lehrkraft Bindungsperson zu sein heißt, mit jedem einzelnen Kind eine Beziehung einzugehen und eine Lernatmosphäre zu schaffen, in der sich Kinder geborgen fühlen.“ Das klingt schön. So sollte die Schule für alle sein.

Imlau erklärt auch: „Der Vorteil bei Schulkindern ist, dass sie zum Bedürfnisaufschub in der Lage sind.“ Das bedeutet: Sie können auch eine Zeit lang ihr Bedürfnis nach Bindung aufschieben und es dann zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen.

Was sie Schulleiterin sagt

Ina Scheible leitet eine Grundschule – und zwar genau jene, die das Kind aus unserer Geschichte langweilig findet. Scheible sitzt nun in ihrem kleinen Büro im ersten Stock das altehrwürdigen Backsteingebäudes an einem alten Holztisch.

Es ist sehr gemütlich hier, und die sonst streng wirkende Schulleiterin ist sehr freundlich. Sie hat sich auf das Gespräch vorbereitet und erklärt, wie sie Nora Imlaus Begriff des Bindungsnetzwerkes versteht.

„Das ist ein anspruchsvoller Auftrag“, sagt sie. „Wir können das sicher nicht zu 100 Prozent umsetzen, weil das nicht der Ressourcen des Beziehungspersonals in der Schule entspricht“, meint Scheible.

Die Schulleiterin erklärt das so: Zu Hause sei das Kind Manndeckung gewohnt, hier in der Schule werde Raumdeckung gespielt. „Für viele Eltern heißt das: Mein wertvolles Kind ist eines von vielen.“ Das bedeutet wohl: Solch eine Bindungs- und Beziehungsarbeit, wie sie eine gute Kita leistet, kann eine Schule gar nicht liefern.

Lehrer wollen das Beste, allerdings . . .

Trotzdem: Sie und alle ihre Kollegen und Kolleginnen wollten Bindungsperson der Schüler sein, meint Schulleiterin Scheible. „Ich glaube daran, dass Menschen, die diesen Beruf wählen, das tun, weil sie das Beste für die Kinder wollen.“

Das Beste müsse die Lehrkraft oder die Erzieherin dann durch die Anzahl der Kinder teilen, die sie gleichzeitig betreut. Das können an ihrer Schule bis zu 26 Schülerinnen und Schüler sein. Deshalb sei es so wichtig, dass Kinder ihre Gefühle äußern dürfen.

Zurück zur Langeweile: Was genau findet die Tochter denn nun langweilig an der Schule? Was wünscht sie sich anders, als es ist? Je mehr die Mutter erfährt, wie genau so ein Schultag in der Grundschule abläuft, desto besser kann sie verstehen, was die Tochter stört.

Jeden Tag müssen die Kinder mehrere Stunden an ihrem Platz sitzen, sollen nicht reden und Zettel und Hefte ausfüllen. Sie schreiben Buchstaben, immer und immer wieder. Sie malen Zahlen, immer und immer wieder. Als Höhepunkte ihres Schultages zählt die Tochter auf: den Sportunterricht (falls die Halle nicht gesperrt ist), den Hort, die Keramik-AG. Und manchmal, wenn sie tuschen im Unterricht, macht ihr auch das Spaß.

Die Tochter kann kaum verstehen, warum ihre Mutter das traurig stimmt. Warum die Mutter sich wünscht, ihre Tochter möge doch gern in die Schule gehen. „Aber Mama, ich finde ja nicht die ganze Schule doof, nur den Unterricht.“