Telefonbetrüger machen als falsche Polizisten und falsche Enkel Millionenbeute. Wie schützt man potenzielle Opfer? Foto: /Arno Burgi

Erneut zahlen betagte Opfer Zehntausende Euro an falsche Polizisten. Sind die Möglichkeiten der Vorbeugung schon am Ende?

Und wieder sind unbekannte Anrufbetrüger um Zehntausende Euro reicher. Zwei Frauen über 80 haben am Dienstag in Stuttgart und in Weil der Stadt (Kreis Böblingen) Schmuck und Gold an angebliche Polizisten übergeben – weil sie am Telefon perfide davon überzeugt wurden, dass sie ihren Sohn beziehungsweise ihre Tochter vor dem Gefängnis bewahren könnten. Die Schock-Geschichte, dass diese einen tödlichen Unfall verursacht hätten, war indes frei erfunden. Die Betrugsmasche lässt sich offenbar kaum eindämmen – ist die Präventionsarbeit der echten Polizei etwa mit ihrem Latein am Ende?

Der jüngste Stuttgarter Fall läuft für die Täter nach dem seit Jahren bewährten Muster ab. Ihr Schockanruf trifft eine 84-Jährige, der am Dienstag gegen 13.15 Uhr zunächst eine Frau und dann ein angeblicher Polizeibeamter am Telefon erklären, dass ihr Sohn einen tödlichen Unfall verursacht habe. Nur eine Kaution in Höhe von 85 000 Euro könne ihn vor einer Untersuchungshaft retten. Man einigt sich darauf, dass die Seniorin Goldschmuck anbieten darf. „Die Betroffene wurde dann zum Amtsgericht Stuttgart bestellt“, sagt Polizeisprecher Tobias Fröhlich. So wirkte die Täuschung noch plausibler.

Nach Übergabe der Beute wollen die Täter mehr

Die Frau fährt von den Fildern in die Innenstadt zum Neckartor. Die Übergabe des Schmucks findet allerdings 250 Meter vom Amtsgericht entfernt statt, an der Ecke Neckar- und Heilmannstraße. Ein 30 bis 40 Jahre alter Mann, 1,65 bis 1,70 Meter groß, mit markanter großer Nase, kurzen grauen Haaren, mit hellblauem Kurzarmhemd und hellgrauer Stoffhose, verschwindet mit der Beute.

Damit nicht genug: Die Anrufer fordern von der 84-Jährigen weiteres Bargeld. Trotz aufkeimender Zweifel fährt sie zu ihrer Bank auf den Fildern. Zum Glück wird ein Bankangestellter misstrauisch und verständigt die dortige Polizei. Mit der Anzeige kurz vor 17 Uhr fliegt der Schwindel auf. Hinweise über Telefon 07 11 / 89 90 - 57 78.

Blonde Frau mit roter Plastiktüte

Seit den Mittagsstunden haben am selben Tag unbekannte Anrufer eine Seniorin in Weil der Stadt-Münklingen (Kreis Böblingen) in der Mangel. Die falschen Polizisten gaukeln ihr vor, ihre Tochter habe einen tödlichen Unfall verursacht – und um sie zu retten, seien 20 000 bis 30 000 Euro Kaution notwendig. Gegen 17.30 Uhr, während die Polizei den Fall auf den Fildern aufnimmt, übergibt die geschockte Frau Gold und Schmuck für Zehntausende Euro in einer roten Plastiktüte an eine Abholerin. Die Täterin ist 30 bis 40 Jahre alt, 1,60 Meter groß, hat blonde, kinnlange Haare, trug einen dunklen, knielangen Rock und eine helle Jacke. Das Opfer erstattet erst um 20.50 Uhr Anzeige. „Nachdem ein Kontakt mit ihrer Tochter alles aufklärte“, sagt Polizeisprecherin Yvonne Schächtele. Hinweise werden unter der Rufnummer 08 00 - 11 20 02 25 erbeten.

Wenn der Verstand aussetzt

Warum aber fallen Opfer immer wieder auf die bekannte Masche, die jährlich Millionenschaden anrichtet, herein? „Die Betroffenen sind in einer emotionalen Ausnahmesituation“, sagt Hermann Volkert, Leiter der Prävention bei der Stuttgarter Polizei, „der Verstand setzt aus, das Gefühl übernimmt.“ Das betreffe auch Menschen, denen die Masche bekannt ist: „Wir hatten mal ein Opfer, das vorher eine unserer Präventionsveranstaltungen besucht hatte“, sagt Volkert. Trotzdem habe der Betroffene erst hinterher gemerkt, dass er das Erlebte eigentlich schon im Vortrag gehört hatte.

Ein Kriminologe als Beinaheopfer

Sogar Experten fallen herein. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, 78 Jahre, der einst in Stuttgart mit seiner Studie zum Thema Jugendgewalt Aufsehen erregt hatte und von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister war, ging den Tätern vor zwei Monaten auf den Leim. Zumindest fast. Seine Tochter habe ein siebenjähriges Kind totgefahren, schildert er die Geschichte, die er, wie er zugibt, sofort für bare Münze nahm.

Eine angebliche Polizistin habe ihm einfühlsam erklärt, seine Tochter sei „so durch den Wind, dass eine Psychiaterin sie jetzt betreuen muss, wir haben richtig eine Suizidgefahr im Auge“. Er habe da nicht mehr darüber nachgedacht, dass solche Anrufe mit Geldforderungen immer Fake seien. Das wisse er als Kriminologe, „aber es kommt nicht in den Kopf“, so Pfeiffers Selbstanalyse. Zum Glück brach die Verbindung nach einer halben Stunde ab. Und als Pfeiffer die echte Polizei anrief, wurde er aufgeklärt.

Die Präventionsbeamten „versuchen alles“

Doch wie soll dies erst in die Köpfe von betagten Menschen kommen, die von psychologisch geschickten Tätern umso mehr überrumpelt werden? „Wir versuchen alles“, sagt der Stuttgarter Polizei-Präventionsexperte Volkert. Vor Jahren habe man 70 000 Briefe an Stuttgarter über 75 Jahren verschickt, unterzeichnet von Polizeipräsident und Oberbürgermeister. Letztes Jahr habe man 112 Informationsveranstaltungen mit 800 Zuhörern über die Bühne gebracht. Pflegedienste seien geschult und sensibilisiert worden. Sogar die Stuttgarter Apotheken hätten Aufklärungsflugblätter bei der Medikamentenausgabe verteilt. Letztlich müssten aber auch jüngere Generationen ihre Angehörigen warnen.

Polizeisprechstunde am 25. Oktober

Aufgeben gilt nicht: Stadtseniorenrat, Polizei und die BW-Bank planen eine gemeinsame Sprechstunde am Dienstag, 25. Oktober, um 16 Uhr in Vaihingen in der Stadtbibliothek am Vaihinger Markt. Dabei soll es nicht nur von der Polizei, sondern auch von einem Bankmitarbeiter Ratschläge zu Fragen der Sicherheit geben. „Wir hoffen auf eine große Resonanz“, sagt Konrad Horstmann vom Stadtseniorenrat, „denn jeder kann betroffen sein.“