Diese Frage wird in Japan derzeit heiß diskutiert. Aufgeworfen durch ein Buch des Soziologieprofessors Daisuke Tano, mit eben diesem Titel. Mittlerweile gehört es zu den Bestsellern. Erklärungen für das große Interesse daran hat der Autor vielfältige, seine Antwort auf die Titel-Frage ist jedoch eindeutig.
Haben die Nazis auch Gutes getan? In Japan generiert diese Frage so viel Interesse, dass ein Buch mit diesem Titel zum Bestseller geworden ist. Die Autoren sind erstaunt, und haben doch ein paar Erklärungen.
Kaum eine Frage ist in Deutschland eine bessere Garantie für einen Skandal. In Japan aber regt sie gerade die Gemüter an: „Die Frage, ob die Nazis auch Gutes getan haben, wird immer wieder gestellt“, beginnt eine im ostasiatischen Land im Juli erschienene Streitschrift. Das Buch mit dem Titel „Haben die Nazis auch Gutes getan?“ war zwischenzeitlich sogar schon vergriffen, hat bereits mehrere Bestsellerlisten angeführt und ist seit seiner Veröffentlichung vor zwei Monaten mehr als 50 000 mal verkauft worden. Ende August startete die sechste Auflage.
Rechtfertigungen über den Nationalsozialismus sind in Japan nicht selten
Und es dürfte noch einige Zeit so weitergehen. Von einer „ungewöhnlichen Resonanz durch dieses nur 120 Seiten dicke Buch“ schrieb die führende Tageszeitung Asahi Shimbun schon Anfang August. Kurz darauf machte es der Sender TBS für eine „große Debatte“ verantwortlich. Seither werden die zwei Autoren immer wieder zu ihrem Werk gefragt: Ob sie überrascht vom Erfolg sind? Anderswo auf der Welt, insbesondere in Deutschland, gilt die Antwort auf die Frage, die das Buch zu seinem Titel gemacht hat, schließlich als Konsens.
In Japan aber, das bis zur Niederlage 1945 an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands den Zweiten Weltkrieg bestritt, ist dies nicht unbedingt der Fall. „Hier hört man immer mal wieder, wie Menschen hervorheben, die Nazis hätten doch reichlich Gutes getan“, sagt Daisuke Tano, Soziologieprofessor an der Konan Universität in Kobe und einer der zwei Autoren des Buchs.
Neben dem Bau von Autobahnen gehe es dabei besonders häufig um die Gründung des Autokonzerns Volkswagen sowie die Gesundheits- und Familienpolitik in Nazideutschland.
Äußerungen über den Nationalsozialismus, die überraschend apologetisch daherkommen, sind in Japan auch von prominenter Seite nicht selten zu hören. Der Gipfel war hierbei wohl Taro Aso, einst Premierminister und heute Vizepräsident der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), vor zehn Jahren: Er hatte erklärt, Japan solle sich bei der Bemühung, die pazifistische Verfassung zu ändern, doch an den Nazis und deren verfassungspolitischen Manövern orientieren. „In der Schule wird aber auch in Japan gelehrt, dass die Nazis so etwas wie das absolut Böse waren“, erklärt Tano.
Die Idee für das Buch, das diversen Mythen Kapitel für Kapitel nachgeht, hatten Daisuke Tano und sein Co-Autor Takuya Onodera, Professor für Global Studies an der Tokyo University of Foreign Studies, vor rund drei Jahren. Auf der Plattform Twitter hatte sich damals die These verbreitet, die Nazis hätten doch auch Gutes getan. „Ich reagierte darauf mit einem Post, der in etwa sagte: ‚Wenn man wie ich drei Jahrzehnte lang zu den Nazis geforscht hat, kann man so etwas wirklich nicht behaupten‘“, erinnert sich Tano. „Daraufhin erhielt ich dann eine Art Shitstorm.“
Den Grund in der Beliebtheit vermutet Tano im Tabu
Im Umgang mit dem Nationalsozialismus ist vor allem Daisuke Tano kein Unbekannter im Land. Im Jahr 2020 veröffentlichte er das Buch „Fascism No Kyoshitsu“ (auf Deutsch: Das faschistische Klassenzimmer), das ebenfalls zum Debattengegenstand wurde. Tano dokumentierte darin seine Erfahrungen aus einem Kurs, den er an der Konan Universität über mehrere Jahre geleitet hatte und nicht zuletzt darin bestand, dass er sich als Führer eines faschistischen Kults inszenierte. Gemeinsam mit Theorielehre und Feedbacksessions war der Kurs höchst populär, aber auch kontrovers.
Ähnlich wie das Buch jetzt. Den Grund in der Beliebtheit vermutet Tano gerade im Tabu. „Es scheint zwei Typen von Personen zu geben, die glauben, die Nazis hätten auch Gutes getan: Die einen haben einfach wenig Wissen. Die anderen sind gegen politische Korrektheit, wollen Dinge sagen, von denen sie das Gefühl haben, sie nicht sagen zu dürfen.“ Manchmal stecke noch eine weitere Motivation dahinter: „Gerade viele politisch rechts eingestellte Leute wollen durch die Relativierung der Nazis indirekt auch eine Relativierung der Verbrechen des japanischen Kolonialismus erreichen.“
Dabei könnten viele Personen, die das Buch nun gekauft haben, am Ende der Lektüre enttäuscht sein. Denn die Antwort auf die Frage, die die ganze Schrift trägt, fällt negativ aus. „Die Autobahnen, genau wie Volkswagen, dienten doch nicht den Menschen, sondern der Militarisierung Deutschlands“, so Tano. „Und die Familien- und Gesundheitspolitik war für die Begünstigten vielleicht relativ großzügig. Aber dafür mussten zum Beispiel die Kinder, die junge Eltern zur Welt brachten, auch den Vorstellungen der Nazis entsprechen. Nichts daran war grundsätzlich menschenfreundlich.“
Neue Informationen enthalte dieses Buch eigentlich nicht, betonen die Autoren. „Wir haben bestehendes Wissen zusammengetragen. Das Buch richtet sich ans allgemeine Publikum.“
Aber da scheint es einiges an Wirkung zu erzielen, nicht nur wegen der hohen Verkaufszahlen. Daisuke Tano sagt: „Seit das Buch erschienen ist, lese ich online deutlich weniger Behauptungen, die Nazis hätten Gutes getan.“