Moderator Thomas Geyer ist allein unter Poetinnen bei „Best of Erotik Slam“ im Club Proton. Foto: /ubo

Mit Sexpositiv-Events füllen Veranstalter die Clubs. Zu den Stuttgarter Pionieren dieses Trends zählen die Macher des Poetry Slams. Im ausverkauften Proton bitten sie zu einer prickelnden Nacht.

Dass im Proton, dem größten Club der Stuttgarter Innenstadt, Stühle auf der Tanzfläche stehen, geschieht auch nicht grad alle Tage. Wo sonst bei Kinky-Partys die Partygäste mit nur wenig Stoff oder Leder um nackte Haut (im Foyer gibt’s auf zwei Etagen 549 Schließfächer) tanzen, wo sonst eine „Playarea“ blickdicht umzäunt ist (Motto: Was im Club passiert, bleibt im Club), sitzt nun ein Publikum, das im Alltags-Outfit eher nach Kulturprogramm aussieht als nach schriller Partynacht. Und doch gibt’s einen kleinen, süßen Unterschied zu einem normalen Vortragsabend: Am Eingang bekommt jeder Gast Fruchtgummis geschenkt in Form menschlicher Geschlechtsteile.

Erotik kommt nicht von Erröten

Menschen sind gekommen, die wissen, dass Erotik nicht von Erröten kommt, die nichts Anstößiges daran finden, wenn es für zweieinhalb Stunden thematisch etwas einseitig wird. Liebe und Sex gehören zu den Grundbedürfnissen der Menschen und haben viele Farben. Bei „Best of Erotik Slam“ stellt sich die Vielfalt dem Votum des Publikums: Mal leidenschaftlich, mal witzig, mal queer, mal antörnend, aber dann auch abstoßend – die gesamte Bandbreite zwischen lustig und prickelnd, zwischen poetisch und peinlich wird präsentiert.

Der Club Proton ist bei „Best of Erotic Slam“ ausverkauft. Foto: ubo

Nur ein Mann steht auf der Bühne: Moderator Thomas Geyer, allein unter Frauen, kennt sich gut aus im Umgang mit Rampensäuen. Seit vielen Jahren veranstaltet er mit seiner Frau Elke Schmid den Poetry Slam in Stuttgart. Wird die erotische Version angekündigt, sind die Karten Wochen davor ausverkauft. Diesmal haben die beiden nur Poetinnen eingeladen, die ihnen im vergangenen Jahr positiv, also sex-positiv, aufgefallen sind und die deshalb in eine „Best-of“-Show passen.

„Es gibt tatsächlich mehr Frauen mit Texten zu Lust und Liebe“, sagt Veranstalterin Elke Schmid. „Außerdem finden wir es gut, mal nur Frauen auf der Bühne zu haben, sonst ist die Kunstbranche doch sehr männlich.“ Fällt es Frauen leichter, sinnliche Texte zu schreiben? Sind sie offener für Gefühle? Hauen dagegen Männer eher plump unter die Gürtellinie mit zu viel Macho-Gehabe rein? Werden sie daher mitunter als peinlich und sexistisch wahrgenommen?

Poetin Heike Harms aus Gilching, Bayern, spricht über „ungeschützten Schriftverkehr“ und ruft fordernd: „Let’s talk about text!“ Auch Texte erzeugen Lustgefühle. Erotik ist der Reiz am Spiel – an einem Spiel mit Sehnsüchten. Erotik Slam ist die Kunst der Verführung mit einem ganz besonderen G-Punkt: mit dem G wie Gehirn.

Poetin Anna Teufel aus Nürnberg liest, dass es sich „richtig“ angefühlt habe, als sie nach vielen Jungs zum ersten Mal eine Frau liebkoste. Sie denkt daran, als sie zum ersten Mal Aprikosenmarmelade gekocht habe, es sei nur noch schöner gewesen. Doch sie scheitert daran, den BH der Angebeteten zu öffnen.

Der Frosch von den Velvet Creepers strippt. Foto: ubo

Achtung, vor Sex unter der Dusche wird gewarnt!

Die Poetin Tonia Krupinski aus Tübingen will erst mal wissen, wie viele im Publikum an diesem Tag bereits Sex hatten. Zwei Hände gehen hoch – eine verschwindende Minderheit bekennt sich dazu, durchaus zu Recht: Wen geht das schon an? Detailreich schildert die Slammerin, wie hilflos Sex wirken kann, wenn man ihn an einen ungewöhnlichen Ort wagt, etwa unter der Dusche einer durchschnittlichen Mietwohnung. Beim Kampf gegen heruntergefallenen Shampoo-Flaschen und angesichts der Enge in der Kabine hilft nur eines noch: Humor. Die Poetin Chiara Devenish aus Wiesbaden sinniert schließlich über One-Night-Stands, bei denen der Mann so schnell geht, wie er gekommen ist. Doch das ist es nicht, von dem sie träumt.

Auch das Gehirn zählt zu den erogenen Zonen

Die Velvet Creepers, das Burlesque- und Zirkus-Trio aus Berlin, begeistern mit ihren Showeinlagen so sehr, dass viele sogleich Tickets für den 1. Juni buchen, wenn die schrägen Artistinnen zu einer Solo-Show ins Proton zurückkehren. Wer beim Erotik-Slam gewonnen hat? Auch wenn eine Botschaft dieser Nacht lautet, beim Sex sollte man Leistungsdruck vermeiden, zählt am Ende doch die Leistung – die Siegerinnen werden per Klatsch-Ted ermittelt: Tonia Krupinski gewinnt vor Chiara Devenish, Tübingen vor Wiesbaden.

Und noch eine Erkenntnis bleibt nach dem Auftritt der Powerdichterinnen im Proton: Poesie, also die richtige Wahl der Worte, kann luststeigernd wirken. Denn das Gehirn zählt zu den erogenen Zonen und lässt sich mit Fantasie antörnen.