Das ist einzigartig in Deutschland: Das Berufsbildungswerk (BBW) Waiblingen zieht mit 300 Auszubildenden nach Winnenden. Was geschieht mit dem Standort Waiblingen?
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Im Eingangsbereich des Berufsbildungswerks (BBW) Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) haben das etliche Jugendliche schon auf kreative Weise getan – mit kleinen Kunstwerken, die sie an die Wand gemalt haben. Neben bunten Bildern sind Sprüche zu lesen. „Neu? Gerne!“ zum Beispiel, oder: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel neu setzen.“
Das sieht Roman Hanle, der Leiter des Geschäftsbereichs Berufliche Bildung bei der Diakonie Stetten, ganz ähnlich. Und so hat das Berufsbildungswerk Waiblingen als derzeit einzige von 51 Einrichtungen dieser Art in Deutschland einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen und begonnen, sich ein Stück weit neu zu erfinden.
1978, im Gründungsjahr des Berufsbildungswerks Waiblingen, favorisierte man das Konzept, alle Angebote für die Jugendlichen an einem Fleck zusammenzubringen. Am Standort in der Waiblinger Steinbeisstraße entstand auf einem 35 000 Quadratmeter großen Gelände ein riesiger Gebäudekomplex. Eine eigene kleine Welt mit Werkstätten, Büros, einer Berufsschule, Internatsgebäuden, einem Freizeithaus, eigener Disco und Kegelbahn. „Die Idee war damals, dass die jungen Menschen das Gelände gar nicht verlassen müssen“, sagt Tilmann Schamel, der Bereichsleiter des Berufsbildungswerks und des Regionalen Bildungszentrums Waiblingen.
Arbeitswelt und Jugendliche haben sich verändert
Das ist 47 Jahre her und vieles hat sich seitdem geändert: die Arbeitswelt, die Gesetze, die Jugendlichen. Die Zeiten, in denen man einen Beruf erlernte und ein Leben lang ausübte – womöglich in ein und derselben Firma – sind vorbei. Das Bundesteilhabegesetz soll mehr Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Und während das BBW einst vor allem Jugendliche mit einer Lernbeeinträchtigung betreute, ist die Klientel nun heterogener. Viele Jugendliche können wegen psychischer Belastungen keine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt machen, obwohl sie kognitiv dazu fähig wären.
Eine gute Ausbildung sei das eine, sagt Tilmann Schamal: „Es geht aber auch darum, die sozialen Kompetenzen zu vermitteln, sodass die jungen Leute mit einer unsicheren und flexiblen Arbeitswelt zurechtkommen.“ Da hilft es, wenn die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen jenen in der realen Arbeitswelt möglichst nahe kommen, allerdings mit einem Fangnetz für die Jugendlichen. So setzt das neue Konzept des BBW auf Dezentralisierung und die Kooperation mit Partnerbetrieben in allen Ausbildungsbereichen, wenn möglich Tür an Tür.
Pilotprojekt mit der Firma Bikes’n Boards
Als Pilotprojekt startete 2021 die Zusammenarbeit mit der Firma Bikes’n Boards in Waiblingen. Für seine Radmonteur-Azubis hat das Berufsbildungswerk im Untergeschoss des Betriebs eine eigene Werkstatt eingerichtet. Sie bietet einen geschützten Rahmen für die Azubis, die dennoch engen Kontakt zum Betrieb nebenan haben. „Durch die Partnerschaft mit Firmen gehen die Jugendlichen nicht in eine Sondereinrichtung, sondern in ihren Ausbildungsbetrieb“, sagt Roman Hanle.
Ein weiterer Schritt ist nun der Umzug von fast 300 Jugendlichen an einen neuen Standort in Winnenden-Birkmannsweiler. Dort hat die Diakonie Stetten in der Birkenstraße rund 5500 Quadratmeter Fläche auf dem früheren Gelände der Maschinenbaufirma Sortimat angemietet. Genügend Platz für Werkstätten wie die Schreinerei oder die Lackiererei, aber auch ausreichend zeitgemäße Büroräume für die steigende Zahl der jungen Leute, die beispielsweise eine Ausbildung als Kaufleute im E-Commerce machen wollen. „Die räumliche Struktur passt und wir haben in Birkmannsweiler die Möglichkeit, mit ansässigen Betrieben zusammenzuarbeiten“, sagt Roman Hanle. Im Falle der Schreinerei ist das zum Beispiel die Firma Omas Studio.
Neue Ausbildungsberufe kommen hinzu
Zu den rund 30 Ausbildungsberufen, die das BBW anbietet, kommen aktuell eine Lehre im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und eine für Kaufleute im Gesundheitswesen hinzu. Für Letztere strebe man eine Partnerschaft mit dem Zentrum für Psychiatrie in Winnenden und der Rems-Murr-Klinik an, sagt Roman Hanle. In Birkmannsweiler sind auch 88 Plätze für junge Menschen vorgesehen, die an einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) teilnehmen. Ein Teil von ihnen brauche eine Unterkunft, sagt Tilmann Schamal: „Da stehen wir kurz vor einem Abschluss.“ Ein Investor soll in Winnenden ein Gebäude für rund 50 Bewohner bauen, welches die Diakonie Stetten dann anmietet.
Und was geschieht mit dem Standort in der Waiblinger Steinbeisstraße? Eine Sanierung des 1978 erbauten Komplexes mache keinen Sinn und werde auch nicht mehr öffentlich gefördert, erklärt Roman Hanle. Das Ziel sei es, den Standort bis 2028 aufzugeben und zu veräußern. Für die Johannes-Landenberger-Schule, für das Lern- und Förderzentrum, die Fachinformatiker und die Verwaltung sucht die Diakonie Stetten noch Räume. „Wir sind im Gespräch mit Investoren und würden gerne in Waiblingen bleiben.“