Moderator Frank Plasberg stellte kritische Fragen zur Impfpflicht. Foto: WDR/Stephan Pick

Bei „Hart aber fair“ haben die Skeptiker einer Impfpflicht leichtes Oberwasser, nur ein Epidemiologe hofft auf sie und mahnt die Politiker, „endlich mal in die Pötte zu kommen“.

Stuttgart - Kein Schlagabtausch, keine Attacken oder Beleidigungen: Vermutlich muss die stets konsensorientierte Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, im Studio sitzen, damit diese Bedingung erfüllt wird und die leichte Kritik an ihr, dass sie doch im Sommer selbst noch Gegnerin einer allgemeinen Impfpflicht war und eine Wendung vollzog, überspielte sie einfach mal. Und kam dann doch zu einer sehr abwägenden Haltung.

Drei zu zwei, so war das Verhältnis der Gegner einer allgemeinen Impfpflicht zu den Befürwortern bei den Studiogästen von „Hart aber fair“ von Frank Plasberg am Montagabend in der ARD. Bringt uns Omikron mit seinen leichteren Verläufen vielleicht dazu, das Virus zu zähmen, hatte Plasberg gefragt. Und könne man nicht, passend zu den Worten des US-Chefvirologen Anthony Fauci, wonach Omikron „jeden finden werde“, das Virus nicht einfach mal „durchlaufen“ lassen? Nach dem Motto, Widerstand ist zwecklos?

Die Impfpflicht gleicht einer „Panikreaktion“

Pflichtgegnern wie dem Journalisten Michael Bröcker („Media Pioneer“) waren allein die Fragen Wasser auf die Mühle, am wortgewaltigsten erhob er die Zweifel. „Wenn die Impfpflicht eine Wirksamkeit hätte, dann wäre ich ja auch dafür.“ Aber sie jetzt einzuführen gleiche einer Panikreaktion, die ihr Ziel nicht erreichen werde. „Mit Omikron sind die Verläufe anders, wir werden das Virus nicht ausrotten können – auch mit der Impfung nicht.“

Am schlimmsten empfindet Bröcker die Kollateralschäden: „Sie können mit einer Impfpflicht nicht die Ängste vor der Impfung nehmen, das Gegenteil wird der Fall sein“, so Bröcker. Die „harten Gegner“ einer Impfung werde man mit ihr nicht erreichen, zumal ja offen sei, ob sie überhaupt helfe. Besser wäre es, auf Anreize und Aufklärung fürs freiwillige Impfen zu setzen, damit habe man es doch auch geschafft, im Herbst 30 Millionen Menschen zum „Boostern“ zu bewegen.

Der Medizinhistoriker rät dringend ab

Schützenhilfe für Bröcker kam vom Medizinhistoriker Malte Thießen, der darauf hinwies, dass die Kritik an der Impfpflicht in Deutschland schon historisch verankert sei. Das Recht auf Selbstbestimmung sei hier sehr hoch geschätzt und selbst im Kaiserreich – das die Pockenimpfpflicht für Kinder einführte – gab es Widerstand und eine Zeitschrift mit dem Titel „Der Impfgegner“. „Die Geschichte der Impfpflicht ist keine Erfolgsgeschichte“, sagte Thießen. Er rät gegenwärtig von der Impfpflicht wegen ihrer gesellschaftlich-politischen Nebenwirkungen ab, denn sie mobilisiere diejenigen, die Ängste haben noch mehr als bisher und sie werde das Misstrauen in den Staat noch schüren.

Die jetzt erkennbar „Relativität des Impfens“, so kritisierte Thießen, hätten unsere Politiker auch schon früher kommunizieren müssen. Im Übrigen sei die Pflicht „ein stumpfes Schwert“, denn wer es sich leisten könne, der zahle halt das Bußgeld. Und das Fälschungswesen werde künftig florieren. Mit dem freiwilligen Impfen, so Thießen, habe man hingegen in Deutschland beste Erfahrungen gebracht und Impfquoten von über 90 Prozent erzielt.

Ein „Vorratsbeschluss“ für den Herbst?

Skepsis kam auch von der FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus die fragte, ob man einen „Vorratsbeschluss“ für eine Impfung im Herbst angesichts all der Unwägbarkeiten mit möglichen Varianten überhaupt fassen könne, und im Übrigen habe man ein „Umsetzungsproblem“ bei der Pflicht. Auch Aschenberg-Dugnus setzt auf mehr Aufklärung und ein Werben fürs Impfen – auch zielgruppenorientiert. Das Beispiel Bremen mit seiner hohen Impfquote von 88 Prozent habe doch gezeigt, dass das gehe.

Der Epidemiologe warnt

Angesichts der Skeptiker hatten die beiden Pflichtbefürworter im Studio einen schweren Stand, und selbst ihr exponiertes Sprecher, der Epidemiologe Timo Ulrichs aus Berlin, bezeichnete die Pflicht als „schlechteste aller Möglichkeiten“, sieht aber trotzdem die Notwendigkeit, sie einzuführen. Es sei „unfair“ gegenüber den Geimpften, wenn Ungeimpfte im nächsten Herbst wieder das Gesundheitssystem überlasteten und man wisse noch gar nicht, ob nach Omikron vielleicht auch leichtere Varianten aufträten oder auch schwerwiegendere. „Die Politiker müssen jetzt mal in die Pötte kommen und ihre Hausaufgaben machen“, sagte Ulrichs.

Außerdem könne niemand sagen, wie sich die Long-Covid-Syndrome, die nach einer Infektion auftreten können, langfristig entwickelten. Vielleicht schauten in 100 Jahren mal Medizinhistoriker auf uns zurück, so Ulrichs, und stellten dann fest, gegen die Spanische Grippe gab es ja nichts, aber bei Corona habe man doch einen Impfstoff gehabt!

Kein Anlass für eine „Basta-Politik“

Auch Malu Dreyer ist von der Impfpflicht überzeugt, ließ sich aber bei „Hart aber fair“ noch eine Rückzugsposition offen und verwies auf die freie Beratung im Bundestag: „Das ist nichts für eine Basta-Politik. Wenn es zu keiner Impfpflicht kommt, dann liegen am Ende die Argumente dafür immerhin auf dem Tisch.“ Sie selbst aber ist für die Pflicht, schließlich lägen auf den Intensivstationen zwei Drittel von Ungeimpften, und sie wisse nicht, wie man die Impflücke anders schließen solle. Die Überzeugung der Menschen vom Impfen sei eine „Daueraufgabe“, aber man habe nun ja schon Impfbusse in alle Stadtteile geschickt und Impfaufklärung in sieben Sprachen und komme da einfach nicht weiter.

Stirbt die Impfpflicht den leisen Tod?

Ein Rätsel und eine Prophezeiung galt es in der Sendung auch noch abzuklären. Plasberg verwies darauf, dass in Bremen trotz der höchsten Impfrate auch die höchste Inzidenz herrsche, in Sachsen mit der niedrigsten Impfrate bundesweit kurioserweise aber auch die niedrigste Inzidenz. „Das ist eine Momentaufnahme, die sich sehr schnell ändern kann“, erklärte der Virologe Ulrichs. Eher unbeantwortet blieb der Hinweis von Michael Bröcker, der sich auf ein aktuelles Telefonat mit einem SPD-Politiker berief, wonach die allgemeine Impfpflicht einen „leisen Tod“ sterben werde.