Schüttbilder sind ein Markenzeichen von Hermann Nitsch; hier sind die Malassistenten des Künstlers während der „Walküre“ in Aktion. Foto: dpa/Enrico Nawrath

Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ wird es vollständig erst 2022 bei den Bayreuther Festspielen geben. Als Appetithappen gibt es vorab eine Installation, eine Kammeroper von Gordon Kampe sowie konzertant die„Walküre“ zu Bildern des Aktionskünstlers Hermann Nitsch.

Bayreuth - Den kompletten „Ring des Nibelungen“ wird es erst im nächsten Jahr geben. In diesem Sommer bieten die Bayreuther Festspiele mit dem multimedialen Projekt „Ring 20.21“ eine Art Vorgeschmack auf das, was sich im Jahr 2022 im Idealfall zu einem harmonischen Ganzen fügen soll. Am Donnerstag konnten die Besucher auf dem Grünen Hügel Fragmente eines mehrfach aufgebrochenen „Rings“ erleben, was am Abend im Festspielhaus in einem Farbspektakel des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch gipfelte.

Zuvor ging es um kleinere Formate. Bereits in der vergangenen Woche konnte man im Festspielpark links der Auffahrt erleben, wie sich die Welt von Wagners Mythen mit der Realität vor Ort verknüpfen lässt. „Schicksalsfaden“ nennt sich die Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, die dort drei junge Damen gefertigt haben. Wer genügend Muße fand, fühlte sich beim Betrachten vollkommen in die Nornen-Szene von Wagners „Götterdämmerung“ versetzt. In diesem Fall muss man allerdings hoffen, dass die Fäden noch einige Zeit halten, denn Shiotas sehenswerte Installation soll bis zum Ende der Festspielzeit für alle Besucher erlebbar bleiben.

Wagners Neigung zu Untergangsfantasien

Am Vormittag dann die Premiere der einstündigen Oper „Immer noch Loge“ von Gordon Kampe nach einem Text von Paulus Hochgatterer am Teich rechts der Auffahrt. Bei diesem Auftragswerk der Bayreuther Festspiele fühlten sich insbesondere diejenigen gut aufgehoben, die an Richard Wagners Werk dessen Neigung zu Untergangsfantasien schätzen. Man kann das Stück als ein Scherzo zum „Ring“ begreifen – mal augenzwinkernd, mal abgründig. Es spürt der Frage nach, was nach dem Weltenbrand der „Götterdämmerung“ übrig bleibt.

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Die Antwort: so gut wie nichts. Von all denen, die einst siegessicher, stolz und herablassend im Getriebe der Welt die Fäden zogen, bleibt nur ein kümmerlicher Rest Asche zurück. Erda lässt den Leichenstaub von den Rheintöchtern einsammeln. Man könnte die Gläser jetzt in eine Museumsvitrine stellen und hoffen, dass sich die Nachwelt an die Helden von einst erinnern wird. Leitmotivartig durchziehen Sätze wie diese das Stück: „Es ist nichts mehr, wie es war; all die Jahre lang.“ Oder: „Was bleibt übrig, wenn Helden verbrennen?“

Puppen entfalten eine märchenhafte Magie

Hier sitzt die Urmutter Erda zu Gericht über Loge, der sich als Brandstifter zu verantworten hat. Seine Verteidigung misslingt. Am Ende ordnet Erda die Verbrennung des einstigen Feuergottes an. „Wenn alles vorbei ist, dann füllt ihn ab. Wir haben noch Gläser.“

Für dieses Untergangs-Scherzo haben der aus Bayreuth stammende Bühnen- und Kostümbildner Julius Theodor Semmelmann und der österreichisch Regisseur Nikolaus Habjan überlebensgroße Puppen entworfen, die eine märchenhafte Magie entfalten und der Aufführung ihren besonderen Reiz verleihen. Natürlich ließen sich in der Musik, die von einem kleinen Instrumentalensemble unter der Leitung des Komponisten gespielt wurde, immer wieder verfremdete Anklänge an Motive aus Wagners „Ring“ heraushören. Von den knapp 250 Besuchern im Festspielpark gab es freundlichen Beifall. Nicht alle Plätze waren besetzt.

Eher ein Oratorium als eine Oper

Am Abend dann das große Spektakel im Festspielhaus: eine konzertante „Walküre“ unter der musikalischen Leitung von Pietari Inkinen in Verbindung mit einer Malaktion von Hermann Nitsch. Eher oratorienhaft als operngemäß präsentiert sich hier die Szene, die Aufführung wird zu einem großen Hermann-Nitsch-Selbstzitat (besuchte Aufführung: Generalprobe).

Nitsch lässt sich, wie erwartet, durch Wagners Musik zu einem Farbrausch animieren, der seinesgleichen suchen dürfte. Das Ganze folgt einer festgelegten Farbdramaturgie, die es dem Zuschauer und -hörer ermöglicht, Bezüge zwischen den nebeneinander herlaufenden Ebenen Musik und Szene zu knüpfen. Es entstehen großflächige Bilder, wie man sie aus Nitsch-Ausstellungen kennt. Die Faszination bei diesem Projekt liegt darin, dass man das Entstehen der Farbflächen miterleben kann. Hier wird das Überführen des Rauschhaften in der Musik ins Rauschhafte der bildlichen Darstellung über mehrere Stunden hinweg zelebriert. Eine Farborgie in gigantischem Format.

Der Meister des Orgien-Mysterien-Theaters

Dazu wurde auch gesungen. Musikliebhaber konnten insbesondere diejenigen Passagen in rauschhaften Zügen genießen, in denen Lise Davidsen als Sieglinde zu hören war. Die großartige Sängerin bot dabei dem Meister des Orgien-Mysterien-Theaters allein mit ihren stimmlichen Mitteln Paroli.

Den Besuchern der Generalprobe wird auch in Erinnerung bleiben, dass dies wohl bis auf Weiteres die einzige Aufführung der „Walküre“ mit Günther Groissböck als Wotan bleiben dürfte. Danach hat er, wie berichtet, die Rolle zurückgegeben. Am Donnerstag gab Tomasz Konieczny den Göttervater.

Bayreuther Aufzeichnungen

Online
Die Bayreuther Festspiele arbeiten erneut mit der Deutschen Grammophon zusammen und präsentieren insgesamt zehn verschiedene Festspiel-Produktionen virtuell. Zwischen dem 26. Juli und dem 24. August werden aktuelle und auch zuletzt aufgeführte Produktionen unter www.festspiele-online.de zu sehen sein.

Produktionen
Im Angebot sind Frank Castorfs Produktion des „Ring des Nibelungen“ aus dem Jahr 2013, die „Tristan und Isolde“-Inszenierung der Festspielchefin Katharina Wagners von 2015, der „Parsifal“ in der Regie von Uwe Eric Laufenberg (2016) sowie Yuval Sharons „Lohengrin“ (2018). Besonders viel Publikumszuspruch und Kritikerlob erhielt 2017 Barrie Koskys Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“. Kontroverser wurde 2019 Tobias Kratzers „Tannhäuser“-Inszenierung aufgenommen, die in diesem Jahr wieder zu sehen ist.