Die Bauwirtschaft klagt über einen akuten Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Deshalb sollen nun mehr Frauen angeworben werden. Foto: imago/Rolf Poss

Die Bauwirtschaft schaut in eine ungewisse Zukunft. Die Auftragsbücher sind bei Weitem nicht mehr so prall gefüllt. Die Suche nach Anreizen zum Bauen läuft auf Hochtouren.

Bereits jetzt kämpft die Baubranche im Land mit hohen Kosten und nachlassender Nachfrage. Zwar sind die Auftragsbücher der Bauwirtschaft noch recht ordentlich gefüllt. Dennoch gab es bereits 2022 ein kräftiges Umsatzminus – und immer mehr Aufträge werden storniert. Inflation und steigende Zinsen könnten schon bald dazu führen, dass sich immer weniger Menschen eigene vier Wände leisten können. Was tun?

Die Ausgangslage

„Bei uns ist Ernüchterung eingekehrt“, sagt Markus Böll, der Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Statt erhoffter satter Gewinne steht Ende 2022 ein reales Umsatzminus von sieben Prozent. Massive Preissteigerungen für Baustoffe haben die Baupreise um 15 Prozent steigen lassen. 20 Prozent der bereits erteilten Aufträge sind deshalb storniert worden.

Wichtig wäre nun ein großzügiges Förderprogramm der Regierung. Doch genau das Gegenteil sei der Fall. Böll: „Es herrscht Kahlschlag in der Förderpolitik. Anstelle der zehn Milliarden Euro für den Wohnungsneubau wie bisher soll es 2023 nur noch eine Milliarde Euro geben – und das bei verschärften Standards.“ Wichtig sei zudem der Abbau von Überregulierungen und Bürokratie: „Die immer noch wachsende Vorschriftsdichte führt zu einem Stillstand. Wir müssen die Standards senken, wir brauchen Wohnungsbau light.“

Einfaches Wohnen – ist das möglich?

Ähnliches hatte vor Kurzem Ministerpräsident Winfried Kretschmann gefordert. Er fragte, ob mit der Reduzierung von Standards beim Bauen nicht so viel Geld gespart werden könne, dass sich ein Normalverdiener weiterhin die eigenen vier Wände leisten kann – ohne dass man dabei wesentliche Abstriche bei den Klimazielen machen müsse. Vor allem müsse man berücksichtigen, dass der Energieverbrauch in der Bauphase eines Hauses fünf- bis achtmal so groß sei wie im restlichen Lebenszyklus.

Stimmt Kretschmanns Aussage?

Aus heutiger Sicht liegt der Ministerpräsident mit seiner Aussage falsch. Allerdings befinden wir uns auf dem Weg hin zu solchen Werten. Waren im Jahr 2009 nur rund 20 bis 30 Prozent des Energiebedarfs eines Hauses dem Bau zuzurechnen und der Rest dem laufenden Betrieb – so teilt sich der Energiebedarf aktuell hälftig auf. Durch den Einsatz von guter Dämmung, moderner Technologie, emissionsfreier Energie und Wärmepumpen könnte sich das Szenario schnell in die von Kretschmann beschriebene Richtung entwickeln.

Wo kann man beim Bauen Geld sparen?

Es sei durchaus möglich, beim Bauen Geld zu sparen, sagt Thomas Möller, der Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Bis zu zehn Prozent der Baukosten bringe der Verzicht auf Garage und Keller. Allein dieser kann bis zu 40 000 Euro kosten, besonders dann, wenn der Aushub nicht in einer Lärmschutzwand ende, sondern in einer teuren Erddeponie entsorgt werden müsse. Auch beim Schallschutz sind aus seiner Sicht zumindest in Einfamilienhäusern Abstriche möglich. Spielräume würden Möller und Böll auch bei den mittlerweile strikten Vorgaben zum Brandschutz und bei den Erdbebennormen sehen. Beide glauben aber nicht, dass der Gesetzgeber dabei den Bauherren entgegenkommen wird. Bei der Haustechnik wiederum gäbe es erhebliche Einsparpotenziale: Es ließen sich ein paar Tausend Euro vermeiden, wenn man auf elektrische Rollläden oder die smarte Koordination des Haushalts verzichte.

Keine allzu großen Abstriche will Möller hingegen bei den energetischen Standards machen. Möller: „Die Kosten dafür sind zwar jetzt hoch. Wir leisten so aber einen Beitrag zum Klimaschutz und damit für die kommenden Generationen.“ Allerdings, das räumt er ein, sei ein Übermaß nicht sinnvoll: „Aus wirtschaftlichen Gründen wäre der sogenannte KfW-Effizienzhaus-55-Standard ausreichend. Der von der Politik angestrebte KfW-Effizienzhaus-40-Standard steht nach Ansicht von Experten bezüglich der Kosten in keinem Verhältnis zu der energetischen Verbesserung der Gebäudehülle.“

Wie steht es um die Nachhaltigkeit?

Anna Braune, Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), teilt die Einschätzung Kretschmanns, dass es sich lohnt, Standards auf den Prüfstand zu stellen. Sie fragt, ob es wirklich sinnvoll ist, dass mittlerweile rund 40 Prozent der Baukosten für die Haustechnik verwendet werden müssen. Braune: „Normen, etwa zum Schall- oder Brandschutz, machen wir uns ja selber. Diese selbst gemachten Hürden stehen oft auch im Widerspruch zu Klimazielen.“

Ganz unabhängig von den Erfolgen sei die Baubranche aber noch weit von der Klimaneutralität entfernt: Jeder Quadratmeter eines Standard-Neubaus belaste die Umwelt im gesamtem Lebenszyklus mit mindestens einer Tonne CO2, wobei aktuell eine halbe Tonne in der Bauphase, die andere im laufenden Betrieb anfalle. Ihr Appell: „Wir sollten uns besinnen, was wir wirklich brauchen. Wir sind schon jetzt auf einem so hohen Niveau. Ein bisschen weniger ist auch gut.“

Die Bauwirtschaft sucht Nachwuchs und setzt dabei auf Frauen

Situation
 Ein großes Problem der Bauwirtschaft ist der akute Fachkräftemangel. 74 Prozent aller Betriebe in Baden-Württemberg geben an, dass ihre Bautätigkeit durch fehlende Arbeitskräfte behindert wird. Aktuell arbeiten 114 000 Menschen in der Baubranche. In den nächsten zehn Jahren werden rund 25 Prozent dieser Baufacharbeiter in den Ruhestand gehen. Auch der Zustrom von Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland lässt nach.

Frauen
 Um den Verlust an Fachkräften kompensieren zu können, will die Bauwirtschaft zusätzliche Ressourcen an potenziellen Arbeitskräften aktivieren und nutzen. Der Verbandspräsident Markus Böll will dabei in Zukunft deutlich mehr auf Frauen setzen. Böll: „Das Gesicht der Bauwirtschaft muss weiblicher werden.“ Technisierung, Robotik und Digitalisierung hätten die Tätigkeiten auf dem Bau so stark verändert, dass es längst nicht mehr nur auf Muskelkraft ankomme.