Manches Haus möchte gar hoch hinaus – doch der Architekt verhebt sich dabei gewaltig – bei Turit Fröbes Abrisskalender 2023 darf jeden Tag eine Bausünde wie diese im Bild abgerissen werden. Foto: DuMont/Turit Fröbe

Das Wortspiel ist einfach zu schön: Architekturkennerin Turit Fröbe liefert einen Abrisskalender mit 365 Bausünden zum Abreißen. Doch Fröbe sagt selbst, dass diese eine „ureigene Schönheit entfalten“ können. Es heißt also schnell sein!

Eigentlich steckt gleich alles drin, in dem Wort, für das nur die deutsche Sprache einen Begriff kennt: Bausünde. Da schwingt die Hybris nicht nur mit, sondern sie springt einem geradezu mitten ins Gesicht – wie ein Schloss, das zwischen Reihenhäusern steht. Kein Wunder, dass die Nazis es gerne nutzten. Aber auch Turit Fröbe tut das ganz bewusst. Trotzdem. Denn das Wort sei verständlich – und ja, es sage eben alles aus.

Außerdem provoziert die Architekturhistorikerin und Urbanistin auch durchaus ganz gerne. „Abrisskalender“ nennt sie denn auch den fürs kommende Jahr bei DuMont erschienenen Kalender wieder, mit „365 Bausünden zum Abreißen“. Diese sammelt sie Jahr für Jahr sozusagen als Nebenprodukt ihrer Arbeit.

Viele Häuser zeigen, was sie eigentlich gerne wären

Doch was meint eigentlich Bausünden? Für Fröbe sind das eigenwillige architektonische Objekte, die nicht so recht in ihren Kontext passen wollen. Viele der Häuser, die im Kalender versammelt sind, heischen geradezu nach Aufmerksamkeit – und brüllen einem ins Gesicht, was sie lieber wären oder wo sie lieber stünden. Da ist etwa das Einfamilienhaus in Berlin, dessen Garten der italienischen Renaissance entsprungen zu sein scheint.

Oder das Haus in München, das eigentlich lieber eine Burg wäre. Schön auch das nicht zu sehende Bauwerk, das sich hinter gleich zwei Eingrenzungen versteckt: einem Metallzäunchen – und einer massiven Hecke, die so zurechtgestutzt wurde, dass sie einer grünen Trutzburg mit Zinnen gleicht. Mit „Grüne Bastion“ untertitelt Fröbe dieses Bild.

Da ist das Haus, mit den vier Mülltonnen davor, die sich als Stapel mit Feuerholz tarnen – Fröbes Untertitel: „Camouflage“. Manches Haus stünde auch gerne inmitten einer Blumenwiese – gereicht hat es aber nur für einen Vorgarten, in dem mit Steinen eine Blume gelegt wurde.

Manches Haus möchte gar hoch hinaus – doch der Architekt verhebt sich dabei gewaltig. Ein anderes macht lieber nur halbe Sachen und ragt als abgeschnittene Haushälfte in die Luft. Eine Mauer macht ganz einen auf Gaudi, den berühmten spanischen Architekten – und das im schleswig-holsteinischen Kappeln an der Schlei. Andere Häuser halten Fenster für völlig überbewertet und üben sich im Verzicht.

Bausünden können „eine ureigene Schönheit entfalten“

Doch eigentlich hat Fröbe die Bausünden über die Jahre durchaus zu schätzen gelernt, allein ob ihres unterhaltenden Charakters. „Bei genauer Betrachtung können Bausünden einen eigenwilligen Charme und eine ureigene Schönheit entfalten“, schreibt sie im Vorwort zum Abrisskalender. Und eigentlich gehören sie deshalb auch gar nicht abgerissen, die Bausünden im Abrisskalender – der seinen Namen dennoch beibehält, denn das Wortspiel ist ja auch einfach zu schön –, „denn originelle, fantasievolle Bausünden sind tatsächlich selten und in der Regel fast so schwer zu finden wie gute Architektur“.

Sollte die Stadt des Abreißers nicht im Kalender vertreten sein, muss dieser sich übrigens nicht grämen. Fröbe betont, dass die Bildauswahl „subjektiv, ausschließlich vom Zufall bestimmt und hochgradig ungerecht“ ist. Also nicht traurig sein, wenn die Bauwerke der eigenen Stadt auffällig oft – oder aber gar nicht – der Abrissbirne beziehungsweise dem täglichen Abreißritual zum Opfer fallen. Zudem heißt es dabei freilich schnell sein, denn sonst besteht die Gefahr, das die Bausünden einem „am Ende noch an Herz wachsen“.

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Der Kalender
Turit Fröbe: Der Abrisskalender 2023. 365 Bausünden zum Abreißen. 368 Seiten, 365 farbige Abbildungen. Dumont-Verlag. 18 Euro