Die Drei von der Baustelle: OB Frank Nopper, Architekt Christoph Ingenhoven und S-21-Chef Olaf Drescher (v.l.) auf dem Bahnhofsdach. Im Hintergrund entsteht die 14. Kelchstütze. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Hälfte der aufwendigen Kelchstützen für den Bahnhof von Stuttgart 21 steht. Auf der Baustelle erinnert Stuttgarts OB Frank Nopper an die Auseinandersetzungen der Vergangenheit und ruft dazu auf, nach vorne zu schauen. Und ein passendes Manfred-Rommel-Zitat hatte er auch dabei.

Stuttgart - Das Sprachbild vom Bergfest hat seine Tücken: wer den Gipfel erreicht, für den geht es von nun an nur noch abwärts. In diesem Sinne wollte die Bahn aber die Einladung auf die Baustelle von Stuttgart 21 nicht verstanden wissen. Das Bergfest sollte vielmehr die Halbzeit beim Bau der Kelchstützen symbolisieren. Am Samstag ist das 14. von 28 dieser Bauteile, die einmal das Dach der Durchgangsstation bilden sollen, in Beton gegossen worden. Coronabedingt entfiel ein großes Fest. Gleichwohl schauten sich OB Frank Nopper (CDU), Architekt Christoph Ingenhoven und S-21-Chef Olaf Drescher den Baufortschritt vor Ort an.

Nopper erinnert an die Auseinandersetzung um das Projekt

Nopper räumte bei seinem ersten Termin auf der Großbaustelle zunächst mit einem Missverständnis auf: Das Bergfest von Stuttgart 21 liege längst in der Vergangenheit, am Samstag ging es „nur“ ums Hallendach. Das aber hatte es dem Stadtoberhaupt angetan. Die Kelchstützen seien „jede für sich kleine architektonische Wunderwerke“. Sie verliehen „dem neuen Stuttgarter Hauptbahnhof im europäischen Maßstab ein unverwechselbares, ein ganz besonders Gesicht“. Die Stützen würden in der unterirdischen Bahnhofshalle für gutes Klima und für Erleuchtung sorgen. Und beides könnten alle Seiten bei Stuttgart 21 gut gebrauchen. Kein Vorhaben habe die Stadt so gespalten und das gesellschaftliche Klima so stark beeinträchtigt wie der neue Bahnknoten. „Bei keinem anderen Projekt wurde der jeweils anderen Seite Erleuchtung und Durchblick so stark abgesprochen wie bei Stuttgart 21.“ Auch wenn nicht alles richtig gemacht worden sei beim Projekt, sei die Halbzeit beim Bau der Kelchstützen doch Anlass, den Blick nach vorne zu richten auf die Möglichkeiten des Projekts. „Mit Stuttgart 21 haben wir die große Chance zur Schienenverkehrshauptstadt in Deutschland und in Europa zu werden.“ Nopper sprach die Stadtentwicklung im künftigen Rosensteinviertel an – und den dringenden Verbesserungsbedarf rund um den Bahnhof. Das Quartier solle sich dem Ingenhoven-Entwurf würdig erweisen, denn der schaffe „einen neuen Anziehungspunkt, der sich in die wundervolle Stuttgarter Perlenkette aus Neuer Staatsgalerie, Kunstmuseum und den beiden Automobilmuseen einreiht.“ Man werde nun rund um den Bahnhof in „Sieben-Meilen-Stiefeln“ vorangehen sagte Nopper und bezog in diese Ansage ausdrücklich Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) mit ein, der auch auf die Baustelle gekommen war.

Architekt lobt Stuttgarter Baukompetenz

Im Interview mit unserer Zeitung hatte S-21-Architekt Christoph Ingenhoven zuletzt die Hoffnung geäußert, dass mit dem neuen OB auch neue Bewegung in die Diskussion um die Flächen rund um den Bahnhof kommen würde. Ingenhoven dankte all jenen Bauarbeitern, die seinen Entwurf nun Realität werden lassen. Als er das erste Mal vor einer fertig armierten Stütze gestanden sei, sei ihm klar geworden, was den Arbeitern abverlangt werde. Sie hätten seine volle Bewunderung. Das dies in Stuttgart umgesetzt werde, sei kein Zufall. „In dieser Stadt arbeiten die besten Bauingenieure und Tragwerksplaner auf den Baustellen, an der Uni und in freien Büros.“ Seit er 1997 den Wettbewerb mit dem Entwurf gewonnen habe, den er heute noch als „Talschaukel“ zwischen Kriegsberg und der Staatsgalerie betrachtet, habe sich viel getan. Berechtigte Kritik sei willkommen und hätte auch zu Nachbesserungen am Projekt geführt. Er riet dazu, das Vorhaben positiv aufzufassen. „Geld ausgeben in dieser Dimension und dabei keinen Spaß haben, ist keine gute Idee“, sagte Ingenhoven. Der Bahnhof und die knapp 60 Kilometer Tunnel in der Stadt werden derzeit auf 8,2 Milliarden Euro taxiert.

S-21-Gegner zweifeln an der Leistungsfähigkeit

Der, der darauf achten muss, dass es nicht noch mehr wird, ist S-21-Chef Olaf Drescher. Mit dem Bahnhof schaffe man nicht nur ein „Architekturmekka. Wir machen auch den Bahnknoten fit für die Zukunft“. Zweifel daran wollen nicht verstummen. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat anlässlich des Bergfests nochmals darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht die Kapazität von Stuttgart 21 nicht ausreiche und der Deutschlandtakt mit dem Projekt nicht funktioniere. Dem widersprach Drescher. Er nannte das Vorhaben „einen Meilenstein in der Verkehrswende“, das den Deutschlandtakt nachhaltig unterstütze.

Da blitzte die von Nopper skizzierte Zerrissenheit in der Stadt wieder auf. Der OB behalf sich bei einem seiner Amtsvorgänger. Manfred Rommel, dessen Namen einmal der Platz über den Kelchstützen auf Höhe des Bonatzbaus tragen soll, hatte ohne Bezug auf den Tiefbahnhof der Nachwelt die Erkenntnis hinterlassen: „Was eine Großstadt munter hält, das ist und bleibt die Unterwelt.“