Bei der Bekanntgabe des Projekts im Juni: Tübingens OB Boris Palmer (rechts) wirbt bei Porsche-Chef Blume (Mitte) heftig für seinen Standort. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links) soll Palmer unterstützen. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Die Hochleistungs-Batteriezellen für Porsche sollen in einem gemeinsamen Industriegebiet von Reutlingen und Kirchentellinsfurt produziert werden. In Tübingen wäre an dem geplanten Standort eine Ausnahmegenehmigung erforderlich gewesen.

Stuttgart - Bei der Bekanntgabe des Leuchtturm-Projekts im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach flirtete der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer im Juni heftig mit Porsche-Chef Oliver Blume. Der grüne OB berichtete von seiner Strategie, mit der er die Wissenschaftsstadt in einen Wirtschaftsstandort verwandeln will. Tübingen wolle im Turbotempo bis 2030 CO2-frei werden und sei mit Blick auf den Klimaschutz quasi der Porsche unter den deutschen Städten. Die geplante Fabrik zur Herstellung von Batteriezellen passe deshalb hervorragend zu Tübingen, warb Palmer. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann signalisierte in der Pressekonferenz seine Unterstützung für Tübingen.

Palmers Charme-Offensive fruchtet nicht

Die Charme-Offensive Palmers hat indes nicht gefruchtet. Im Wettbewerb der Standorte um die Zellfabrik geht Tübingen leer aus. Die Fabrik zur Herstellung von Hochleistungs-Batteriezellen wird aber ganz in der Nähe von Tübingen in einem gemeinsamen Industriegebiet von Reutlingen und Kirchentellinsfurt gebaut, wie die Cellforce Group am Freitag bekannt gab. Cellforce ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Porsche und dem Batteriezell-Spezialisten Customcells, der Standorte in Itzehoe und in Tübingen hat. Porsche hält mit rund 73 Prozent die klare Mehrheit an dem Gemeinschaftsunternehmen.

Zellfabrik ein Bekenntnis zum Standort Baden-Württemberg

Die Ansiedlung sei ein klares Bekenntnis zum Standort Baden-Württemberg, erläuterte Cellforce. Man profitiere von kurzen Wegen zu Forschungs- und Industrialisierungspartnern, erläuterte Markus Gräf, der Chef von Cellforce. Zudem sei es über die nahe B27 nur ein Katzensprung zum heutigen Cellforce-Standort in Tübingen sowie zum Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach. Weitere Wettbewerber im Rennen um die Fabrik waren unter anderem Gärtringen und ein Standort in der Nähe von Heilbronn.

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Der von Palmer geplante Standort hatte ein großes Handicap. Es handelt sich anders als beim jetzt gewählten Standort nicht um ein Industriegebiet, sondern um ein Gewerbegebiet. Porsche hätte eine Ausnahmegenehmigung gebraucht, um hier einen Industriebetrieb anzusiedeln. Das war dem Autobauer wohl zu heikel. Es habe immer das Restrisiko mitgeschwungen, dass ein Bürger gegen das Projekt klage, was erhebliche Verzögerungen hätte auslösen können, heißt es in Unternehmenskreisen. Zudem habe es zu wenig Erweiterungsmöglichkeiten gegeben.

Fläche von 28 000 Quadratmetern

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Der Tübinger Oberbürgermeister sagt dagegen, dass allein die fehlende Erweiterungsmöglichkeit den Ausschlag für die Standortwahl gegeben habe. „Die Fabrik ist in der Planung so schnell gewachsen, dass wir wegen der Knappheit an Flächen in Tübingen kein ausreichend großes Gelände anbieten konnten“, sagte Palmer. Daher habe er seinen Reutlinger Amtskollegen Thomas Keck gebeten, einen Reutlinger Standort ins Spiel zu bringen. „Ich bin sehr froh, dass diese gemeinsame Bewerbung von Erfolg gekrönt war“, sagte Palmer. Das Gemeinschaftsunternehmen erwirbt nun eine rund 28 000 Quadratmeter große Fläche. Vom nächsten Jahr an soll hier eine Fabrik entstehen, in der zunächst pro Jahr Hochleistungs-Batteriezellen für 1000 Fahrzeuge hergestellt werden sollen. Die Kapazität liegt bei 100 Megawattstunden pro Jahr. Das ist für eine Zellfabrik verhältnismäßig klein. Zum Vergleich: Tesla baut im neuen Werk in Grünheide bei Berlin eine Batteriefabrik mit einer Kapazität von 50 Gigawattstunden pro Jahr. Tesla-Chef Elon Musk hatte zunächst sogar von 100 Gigawattstunden gesprochen.

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Schlüsseltechnologie für Sportwagen

Der Produktionsstart der neuen Cellforce-Fabrik ist für das Jahr 2024 geplant. Die Belegschaft soll bis zur Mitte des Jahrzehnts von derzeit 23 Mitarbeitern auf etwa 100 Beschäftigte aufgestockt werden. Der Bund und das Land fördern das Projekt mit insgesamt rund 60 Millionen Euro. Die neuen Batteriezellen sind laut Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner eine Schlüsseltechnologie für zukünftige Hochleistungssportwagen. „Da man derart leistungsfähige Zellen heute nicht einfach zukaufen kann, werden wir sie gemeinsam mit der Cellforce GmbH selbst entwickeln und fertigen“, sagte Steiner. Zunächst solle die neue Hochleistungstechnologie im Motorsport erprobt werden. Bisher bezieht Porsche die Zellen für das Elektroauto Taycan vom südkoreanischen Hersteller LG Chem.

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Porsche-Chef Blume sieht große Wachstumschancen

Porsche-Chef Blume hatte bei der Vorstellung des Projekts im Juni bereits angekündigt, dass die Fabrik in deutlich größere Dimensionen wachsen könne. Mit den Zellen könnten nicht nur Rennwagen, sondern auch Top-Serienmodelle von Porsche sowie anderen VW-Konzernmarken wie Audi, Lamborghini oder Bugatti ausgestattet werden. Wenn die Kleinserie erfolgreich sei, so Blume damals, werde man darüber nachdenken, die Kapazität in den Bereich von Gigawattstunden zu erweitern. „Der Markt ist mit Sicherheit da“, sagte Blume.