Unter dem Titel „Vorfahrt Barrierefreiheit“ in der Talaue aktiv: Die SPD-Stadträtinnen Christel Unger und Lissy Theurer sowie Gerd Widmann vom Sehbehinderten-Verband. Foto: Julian Rettig

Die Waiblinger SPD trommelt für mehr Barrierefreiheit im Nahverkehr. Bei einer Kundgebung beim Bürgerzentrum hagelt es aber auch Kritik an der Bahnhofstraße und gefährlichen Fußgängerampeln.

Wenn es um die Stolperfallen für schlecht sehende Menschen im Stadtbild geht, lässt Gerd Widmann kein gutes Haar am Waiblinger Rathaus: Mitten auf den Gehweg geklotzte Betonwürfel sind dem Leiter der Bezirksgruppe Rems-Murr des Blindenverbands Württemberg ebenso ein Graus wie die trotz der Einrichtung von Stellplätzen nach wie vor kreuz und quer am Fahrbahnrand liegenden Elektroroller. „Die Stadt muss das kontrollieren, sie ist dazu gesetzlich verpflichtet“, sagt der für schwäbische Direktheit bekannte Widmann über die Problemzonen in der Stauferstadt.

Der Weg durch die Bahnhofstraße gleicht für Blinde einem Hindernislauf

Geradezu katastrophal sei für einen nicht oder nur schlecht sehenden Menschen die Situation in der Bahnhofstraße: Durch bis in den Gehweg ragenden Motorhauben parkender Autos, entgegenkommende Radfahrer, die Stühle und Tische für die Außen-Gastro und unverhofft im Weg stehende Baustellenschilder gleiche die Benutzung der publikumsträchtigen Einkaufsstraße einem Hindernislauf, der ohne Blessuren am Schienbein kaum zu bewältigen sei – von der Aussicht, bei jedem zweiten Schritt in einen Hundehaufen zu tappen, ganz zu schweigen.

Noch unerträglicher an Waiblingen sind aus Sicht von Gerd Widmann nur noch die Planungspannen beim Busbahnhof und die ohne Technik-Hilfen wie Vibrationsphasen oder akustische Signale aufgestellte Fußgängerampel beim Bürgerzentrum. „Ich muss da tatsächlich jemanden fragen, ob jetzt rot oder grün ist – wenn es denn gerade jemand gibt, den ich fragen kann“, ärgert sich der resolute Funktionär.

Die SPD hat die Hoffnung auf ein Buskap noch nicht aufgegeben

Den Sozialdemokraten in Waiblingen kommt das vernichtende Urteil des Blindenverbands über die unsicheren Laufwege nicht gerade ungelegen. Denn die Gemeinderatsfraktion trauert noch immer dem im Oktober gescheiterten Plan nach, die Bushaltestelle am Bürgerzentrum barrierefreier zu gestalten. Statt den Nahverkehr vor der auch von vielen Rollstuhlfahrern besuchten „guten Stube der Stadt“ in einer Busbucht am rechten Fahrbahnrand halten zu lassen, wollte die Stadtverwaltung in der Talaue ein Buskap verwirklichen. In Fahrtrichtung Hallenbad wäre durch die Neugestaltung der bisher wenig attraktiven Wartezone nicht nur mehr Aufstellfläche für die Passagiere möglich gewesen. Das Buskap hätte auch eine von Buskunden wie Radfahrverbänden oft kritisierte Engstelle beseitigt.

Doch schon im Planungsausschuss kippte eine Mehrheit aus CDU und Freien Wählern den Vorschlag – aus Sorge, dass ein durch die Verschwenkung der Fahrbahn entstehendes Nadelöhr den Autoverkehr ausbremsen könnte. Dass ein Verkehrsexperte den Bürgervertretern versicherte, dass die Wartezeit vor der Ampel allenfalls im Berufsverkehr von aktuell 25 auf 50 Sekunden ansteigen werde, half nichts – die Angst vor Dauerstau war einer Mehrheit wichtiger als der Wunsch nach Barrierefreiheit.

Die Angst vor dem Dauerstau war der Mehrheit wichtiger als die Barrierefreiheit

Jetzt, nach einem halben Jahr, allerdings hegt zumindest die SPD leise Hoffnungen, dass das umstrittene Buskap noch einmal auf die Tagesordnung kommt. Um den Boden für einen behindertenfreundlicher lautenden Beschluss zu bereiten, veranstaltete die Partei am Freitag sogar eine Kundgebung an der umstrittenen Haltestelle. Stadträtin Christel Unger stieg mit dem Rollator aus dem Bus aus, die Fraktionskollegen Lissy Theurer und Urs Abelein suchten das Gespräch mit älteren Bürgern, Gerd Widmann zeigte mit Simulationsbrillen, wie eingeschränkt der Blick sehbehinderter Menschen sein kann.

Bei einer Diskussionsrunde im Anschluss zu Wort kam auch die ehemalige Sozialministerin Katrin Altpeter. Sie forderte Barrierefreiheit vom Bordstein bis zur Behördensprache: „Es geht nicht nur um die Haltestelle, sondern auch um den Bus.“