Ein Anblick, den es nicht mehr oft geben wird: Henoch und Ulrike Schulze in ihrer Bäckerei in der Asperger Königstraße Foto: /Deborah Schulze

In Asperg schließt die Bäckerei Schulze nach mehr als 60 Jahren. Ihr boomendes Café in der Stadtmitte wird übernommen – und die Mitarbeiter?

„Als kleiner Bäcker kann man es nur noch stemmen, wenn man größer wird. Und wenn das nicht deine Philosophie ist, musst du es an den Nagel hängen“, sagt Henoch Schulze. Genau das tun der 48-jährige Bäckermeister aus Asperg und seine Frau Ulrike nun. Sie geben ihre Bäckerei am Fuße des Hohenaspergs, die sie in der zweiten Generation führen, zum Ende des Monats auf.

Gängelnde politische Rahmenbedingungen, nachlassendes Interesse am Bäckerberuf, Unwuchten in mancher gesellschaftlichen Entwicklung, Lebensmittel als Spekulationsware: Es sind viele Faktoren, die das Ehepaar zu seiner Entscheidung bewogen haben. „Fachleute gibt es nicht genug, und das wird sich auch nicht mehr ändern“, glaubt Henoch Schulze, der all die Jahre über auch selbst ausgebildet hat. „Das Berufsbild Bäcker mit seinen Arbeitszeiten ist für die meisten keine Option.“ Auch hätten Bäcker ihre frühere Funktion als ein Nahversorger verloren. Die Menschen beklagten es zwar, wenn diese Angebote verschwänden, seien aber allzu oft nicht zu Verhaltensänderungen bereit, um diese stärker zu unterstützen. Und wenn sie mal keinen Parkplatz direkt vor der Tür fänden – die Bäckerei Schulze liegt an einer stark befahrenen Asperger Verkehrs-Hauptschlagader –, führen sie eben weiter zum Bäcker im Supermarkt.

Das Café ist ein Treff-, Dreh- und Angelpunkt im Asperger Zentrum

Kundenmangel herrscht allerdings nicht bei der Bäckerei Schulze. Und gleich zweimal nicht im pulsierenden Café, das die Schulzes 2007 in der damals neuen Stadtmitte eröffneten. „Damals war es noch nicht gang und gäbe, dass man frühstücken ging“, erinnert sich der Chef. Mancher habe angesichts der Investition den Kopf geschüttelt und zu ihm gesagt: „Wer setzt sich denn um 9 ins Café und frühstückt?“ Doch das Café entwickelte sich zu einem Treff-, Dreh- und Angelpunkt in dem kleinen Zentrum, so sehr, dass die Schulzes sogar erweiterten. „Der Außer-Haus-Verzehr nimmt immer stärker zu“, so Schulze. Das kommt dem Café zupass.

Die Menschen nehmen zum Brunchen, zum Mittagstisch, der vor Ort gekocht wird, oder zum Nachmittagskaffee Platz; die Nachbarschaft zu Pflegeheimen, dem Rathaus, Ärzten, Geschäften und Banken bringt Gäste. Zum Jahrgangstreffen, nach der Führung auf dem Hohenasperg, zum Treffen mit Freunden oder beim Besuch der Verwandten im Heim, mit denen man ein bisschen raus ins Leben möchte: Das Café ist aus Asperg nicht wegzudenken. Es bleibt den Aspergern erhalten: Die Sachsenheimer Bäckerei Clement übernimmt es von den Schulzes. Die Mitarbeiter werden weiterbeschäftigt.

Ende Januar werden die Öfen zum letzten Mal angeworfen

Die Öfen der Bäckerei in der Königstraße hingegen werden Ende Januar zum letzten Mal angeworfen. „Wir waren jetzt über 60 Jahre erfolgreich. Wenn wir es weiter sein wollten, müssten wir größer werden“, sagt Henoch Schulze. „Auf der grünen Wiese zu bauen macht für uns aber keinen Sinn.“ Der Bäckermeister ist auch mancher Regulierung müde. Die vielen Auflagen machten mürbe, sagt er und erzählt, wie er wenige Jahre alte, teuer angeschaffte Ladenkassen 2019 ausrangieren musste, weil sie den neuen Sicherheitsstandards nicht mehr genügten – „einen Monat, nachdem sie bei der Steuerprüfung für perfekt befunden wurden“, erzählt er. „Wir mussten die Kassen dann entsorgen. Das kann’s doch nicht sein.“

Von Beginn an beschäftigte Schulzes Vater auch Menschen mit Behinderung in der Bäckerei. „Das haben wir weitergeführt, es war für uns immer eine Bereicherung“, so Schulze. Anfangs sei die Beschäftigung solcher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu 85  Prozent gefördert worden, „heute gibt es kaum noch Fördergelder“, moniert er. Viele Betriebe zahlten dann lieber eine Abgabe, als Menschen mit Behinderung einzustellen. „Das führt zu einer gesellschaftlichen Verarmung“, findet Schulze.

Überhaupt macht er sich seine Gedanken über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auch über Themen wie Vereinsamung oder Armut im Alter. Bei Gesprächen mit Kunden, vor allem im Café, bekomme man in dieser Hinsicht schon vieles mit. „Alte Menschen brauchen Ansprache und jemanden zum Zuhören, aber das fehlt ihnen oft.“ Diese – und überhaupt die vielen Gespräche – würden seiner Frau und ihm künftig fehlen, ahnt Schulze.

Die Bäckerei: von Kindheit an ein Lebensmittelpunkt

Überhaupt sind diese letzten Wochen nicht einfach. „Einen Betrieb zu beenden, das ist ja fast mehr Arbeit, als einen zu eröffnen“, sagt er. Zudem: „Die Bäckerei war von Kindheit an mein Lebensmittelpunkt. In einer Bäckerei aufzuwachsen, das war etwas ganz Besonderes. Meine Geschwister und ich hatten von Kind auf einen ganz anderen Bezug zu Nahrungsmitteln. Jetzt geht ein Stück Familiengeschichte zu Ende.“ Seine Eltern – die nicht mehr leben – hätten die Entscheidung aber gewiss verstanden, denkt er. Was die Zukunft für seine Frau und ihn bringe, sei noch offen, erklärt Schulze. Nach Österreich übersiedeln – ein Gerücht, das derzeit in Asperg umgeht – werde man jedenfalls nicht.