Nach Angaben des Verkehrsministeriums ist fast eine Viertelmillion Menschen im Südwesten nachts durch Straßenverkehr von so viel Lärm betroffen, dass ihre Gesundheit gefährdet ist (Symbolbild). Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ob Straße, Flughafen oder Bahngleise: Von Lärm fühlen sich viele Menschen belästigt. Doch er kann nicht nur nervig, sondern auch gesundheitsgefährdend sein. Reichen die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung?

Stuttgart - Trotz vieler Gegenmaßnahmen sind zu viele Menschen in Baden-Württemberg aus Sicht von Verkehrsminister Winfried Hermann Lärm ausgesetzt. Am meisten fühlten sich die Menschen von Verkehrslärm belästigt, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch im Stuttgarter Landtag. „Da müssen wir ran, da müssen wir was tun.“ Die Opposition verwies darauf, Lärmschutz nicht nur über Verbote zu regeln und den Bürgern wirklich zu helfen, statt die Zuständigkeiten zwischen Bund, Land und Kommunen hin- und herzuschieben.

Nach Angaben des Ministeriums ist fast eine Viertelmillion Menschen im Südwesten nachts durch Straßenverkehr von so viel Lärm betroffen, dass ihre Gesundheit gefährdet ist. Die EU gehe, wie Hermann ausführte, davon aus, dass jährlich rund 12 000 Menschen infolge von Lärmbelastung sterben, etwa an einem Herzinfarkt. Die durch Lärm verursachten Kosten im Gesundheitswesen lägen im Millionenbereich, sagte der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung, Thomas Marwein (Grüne).

Nachts nicht lauter als ein Kühlschrank

Nachts empfehle die Lärmwirkungsforschung für Straßenverkehr einen Wert von höchstens 55 Dezibel, hieß es. So viel geht etwa von einem Kühlschrank aus. Bei rund 244 000 Menschen im Südwesten seien es lauter. Neben schlechtem Schlaf kann das Hörschäden verursachen oder das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Tagsüber liegt der Grenzwert bei 65 Dezibel, was einem Fernseher in Zimmerlautstärke entspricht. Von Überschreitungen seien 214 000 Menschen betroffen.

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Wie sehr man sich von Lärm belästigt fühlt, sei eine Frage des Wohnorts, sagte Hermann. Mal sei Straßenlärm das Problem, mal seien Bahnschienen oder ein Flughafen näher. Motorradlärm spiele auf dem Land eine größere Rolle als in der Stadt. Davon hänge ab, welche Lösungen helfen könnten. Damit verbunden sei auch eine soziale Frage - nicht jeder könne es sich leisten, in eine ruhige Gegend zu ziehen.

Corona zeige, wie leise es sein könne

Der Corona-Lockdown habe vielfach gezeigt, wie leise es sein könne, sagte Hermann. Er bedauerte, das immer noch zahlreiche Kommunen keine Lärmaktionspläne hätten. Auch der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland, Matthias Lieb, kritisierte, manche Städte täten sich schwer mit deren Umsetzung. So hätte zum Beispiel in Pforzheim aus Lärmschutzgründen flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden sollen. „Der Gemeinderat verzögert aber jetzt schon seit Monaten die Verabschiedung des Plans“, sagte Lieb der Deutschen Presse-Agentur.

Der Lärmschutzbeauftragte Marwein sagte im Landtag: „Es gibt noch viel zu tun.“ Der Bund müsse etwa die Grenzwerte für Straßenlärm senken. Bis zum Jahr 2030 solle die Zahl der Menschen im Südwesten, die nachts von Lärm belästigt werden, um ein Fünftel sinken - beispielsweise mit Hilfe von Tempolimits und einer Ausweitung der Elektromobilität. Auch der Motorradlärm müsse weiter bekämpft werden. Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht. „Statt leiser werden sie immer lauter.“ Einer Initiative gegen Motorradlärm hätten sich bislang 150 Kommunen angeschlossen. Der deutschlandweit einzige Lärmschutzbeauftragte in einem Bundesland machte aber deutlich, dass das Thema auch etwa beim Städtebau oder im Tourismus eine Rolle spielten.

Straßenlärm oder spielende Kinder?

Der CDU-Abgeordnete Thomas Dörflinger betonte: „Die meisten Motorradfahrer sind keine Lärm-Junkies, sondern sie grenzen sich deutlich von den schwarzen Schafen ab.“ Auch müsse man unterscheiden, um welche Art von Lärm es sich handle. Straßenlärm sei nicht mit dem Krach spielender Kinder oder mit Kirchenglocken vergleichbar. Ähnlich äußerte sich Jochen Haußmann von der FDP: Rettungshubschrauber sollten nicht als Fluglärm gewertet werden.

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Haußmann mahnte aber, die Vorhaben dürften nicht nach „Bevormundungspolitik“ wie über Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen aussehen. Auch Anton Baron (AfD) warnte vor „Gängelungen“. Wo immer möglich, sollte Lärm mit technischen Mitteln beschränkt werden.

Der Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Lärmschutz an Verkehrswegen, Hans-Jürgen Johannink, sagte der dpa, wie alle Länder arbeite Baden-Württemberg sehr am Thema Lärmschutz. Der Verband vertritt Unternehmen. „Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt“, sagte Johannink. Inwiefern der Südwesten im Ländervergleich heraussticht, vermochte er nicht zu sagen. Dafür fehle eine bundesweite Übersicht.