Die Corona-Verordnung des Landes wird am Wochenende verlängert werden. Was bedeutet das für die Menschen in Stuttgart und ganz Baden-Württemberg? Foto: LICHTGUT/Leif Piechowski/Leif Piechowski

Überall in Deutschland sollen bald die gleichen Corona-Regeln gelten. So lange will Baden-Württemberg nicht warten. Was konkret ändert sich ab Montag, wenn in Landkreisen die Inzidenz über 100 klettert?

Stuttgart - Er lädt schon ein wenig zum Kopfschütteln ein, dieser politische Schlingerkurs der vergangenen Wochen im Kampf gegen die dritte Corona-Welle. Zuerst vereinbarten Bund und Länder Anfang März eine sogenannte „Notbremse“ für Gegenden mit hohen Inzidenzen. Dann traten die Länder aber ganz unterschiedlich fest aufs Bremspedal. Auch Baden-Württemberg weicht stellenweise von den Vereinbarungen ab.Lesen Sie hier: Drücken Ausgangssperren die Infektionszahlen? (Plus)

Der Bund will mit einem eigenen Gesetz durchgreifen. Allerdings lässt die „Bundes-Notbremse“ noch auf sich warten, muss durch Bundestag und Bundesrat. Nun gibt Baden-Württemberg plötzlich den Musterknaben - und kündigt an, die Bundesregeln bereits ab Montag durchsetzen zu wollen. „Wir warten nicht auf den Bund, wir müssen jetzt handeln“, sagt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne).

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Die Corona-Verordnung des Landes müsse man nämlich ohnehin am Wochenende verlängern, heißt es. Derzeit kursiert ein Entwurf, der noch zwischen den Ressorts abgestimmt werden muss. Der Deutschen Presse-Agentur liegen die Kernpunkte vor. Was sich ändert:

Notbremse: Ab wann werden die Regeln verschärft?

Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz - also die Ansteckungen binnen sieben Tagen pro 100 000 Einwohner - nach Bundesplänen an drei aufeinander folgenden Tagen die Schwelle von 100 überschreitet, sollen dort ab dem übernächsten Tag schärfere Maßnahmen gelten. Heißt: Die Inzidenz überschreitet am Montag, Dienstag und Mittwoch jeweils die 100er-Marke - dann gilt ab Freitag die Notbremse. Ob das Land diesen Zeitplan übernimmt, ist unklar. Die schärferen Regeln würden nach der Infektionslage derzeit jedenfalls fast den ganzen Südwesten betreffen: Nur fünf Kreise lagen am Donnerstag unter der 100er-Marke.

Ausgangssperre: Wer darf nachts künftig noch vor die Tür?

In der neuen Südwest-Verordnung plant das Land verbindliche Ausgangsbeschränkungen. Zwischen 21.00 und 5.00 Uhr darf man in Hotspots die eigene Wohnung oder das eigene Grundstück nur noch aus „triftigen Gründen“ verlassen. Der Bund zählt etwa gesundheitliche Notfälle oder die Berufsausübung dazu, aber nicht etwa Spaziergänge oder Joggingrunden. In 19 von 44 Kreisen im Südwesten gilt aber bereits eine Ausgangssperre, heißt es im Gesundheitsministerium.

Kontakte: Mit wie vielen Personen darf ich mich nun treffen?

In Baden-Württemberg dürfen sich bislang noch zwei Haushalte mit bis zu fünf Personen treffen - auch in Regionen mit hohen Inzidenzen. Das Land weicht dabei von den einst von Bund und Ländern beschlossenen Kontaktregeln ab. Mit der Notbremse darf sich künftig höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen. Kinder bis 14 Jahre zählen nicht mit. Ob Pärchen, die nicht zusammenwohnen, weiterhin im Land als ein Haushalt gelten, war am Freitagnachmittag noch unklar. Bei Beerdigungen dürfen künftig noch bis zu 15 Personen zusammenkommen.

Handel: Wo kann ich noch einkaufen gehen?

Ab der 100er-Inzidenz dürfen nur noch Ladengeschäfte der Grundversorgung - also etwa Supermärkte, Apotheken, Drogerien - öffnen. Die maximal zulässige Verkaufsfläche pro Kunde will das Land nochmals verschärfen - von 10 auf 20 Quadratmeter (bei Ladenflächen bis 800 Quadratmeter) und von 20 auf 40 Quadratmeter (bei Ladenflächen über 800 Quadratmeter). Baumärkte müssen schließen.

Trotz der Notbremse in Corona-Hotspots soll es Abholangebote nach dem Prinzip Click & Collect im Einzelhandel geben. Das geht aus dem abschließenden Entwurf der grün-schwarzen Regierung für die neue Corona-Verordnung hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart vorliegt. Zwar sollen Einzelhandel, Ladengeschäfte und Märkte in Kreisen mit über 100 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in einer Woche schließen - doch Abholangebote und Lieferdienste sollen davon ausgenommen sein. Damit weicht das Land vom Gesetzentwurf des Bundes für eine Notbremse ab, der allerdings vom Bundestag und Bundesrat noch nicht beschlossen ist.

Freizeit: Was ist mit Kunst, Kultur und Sport?

Museen, Galerien, Ausstellungen, Gedenkstätten, zoologische und botanische Gärten müssen dicht machen, ebenso Wettannahmestellen. Nur kontaktloser Individualsport bleibt erlaubt, den man allein, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands ausüben kann. Ausnahmen gelten dem Entwurf zufolge für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb des Spitzen- und Profisports.

Dienstleistungen: Und was ist mit dem Friseur?

Für Friseurbesuche und Barbershops braucht es künftig im Land einen negativen Schnelltest in Notbremsen-Regionen. Körpernahe Dienstleistungen wie Kosmetik-, Nagel-, Massage-, Tattoo- und Piercingstudios sowie kosmetische Fußpflegeeinrichtungen müssen schließen. Das gilt auch für Sonnenstudios. Ausnahmen gelten für medizinisch notwendige Behandlungen, etwa die Physio- und Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Fußpflege.

Bildung: Werden Schulen und Kitas nun wieder öffnen oder nicht?

Überschreitet die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 200, wird der Präsenzunterricht in Schulen und Kitas verboten. Ausnahmen besonders für Abschlussklassen sind möglich. Eigentlich sollen die Schulen nächste Woche wieder ihre Pforten öffnen - zumindest für den Wechselunterricht. Für viele Schulen stellt sich damit die Frage, ob sie überhaupt öffnen sollten.

Derzeit liegen 8 der 44 Kreise über 200. Neun weitere Kreise liegen nach Zahlen des Landesgesundheitsamts vom Donnerstagabend nur knapp darunter. Stuttgart und Ulm haben wegen hoher Corona-Infektionszahlen am Freitag bereits angekündigt, die für diesen Montag geplante weitgehende Öffnung der Schulen und Kitas zu verschieben.

Exitstrategie: Wann endet die Notbremse?

Die Regeln sollen laut Bundesentwurf so lange in Kraft bleiben, bis die 7-Tage-Inzidenz an fünf aufeinander folgenden Tagen die Schwelle von 100 unterschreitet - dann treten die Extra-Auflagen am übernächsten Tag wieder außer Kraft. Zwischen wenigen Tagen und mehreren Monaten wäre also alles drin. Wie das Land die Exitstrategie gestaltet, war zunächst unklar.