Foto: Lichtgut/ Max Kavalenko

Philipp Merkt und Sucy Pertsch haben seit ein paar Monaten einen neuen Arbeitsplatz: das Impfzentrum am Robert-Bosch-Krankenhaus. Statt in der Krise zuhause zu sitzen und Däumchen zu drehen, kämpfen sie „an vorderster Front“ gegen die Pandemie.

Bad Cannstatt - Kürzlich ist es tatsächlich passiert. Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag sagte Sucy Pretsch zu ihrem Hund jenen Satz, den sie an diesem Tag zu hunderten Personen im Impfzentrum am Robert-Bosch-Krankenhaus gesagt hatte: „Bitte folgen sie mir.“ Und auch dieses Mal lächelte sie – so wie es die 46-Jährige den ganzen Tag über getan hatte.

Seit mittlerweile mehr als drei Monaten ist Sucy Pretsch im Impfzentrum am Robert-Bosch-Krankenhaus tätig und damit Teil eines großen Teams. Denn um die hohe Zahl an Erst- und Zweitimpfungen durchführen zu können – im Schnitt sind es 2000 am Tag – wird viel Personal benötigt. Ärzte, medizinische Fachangestellte, Krankenpfleger, Rettungssanitäter gehören dazu – aber auch rund 100 Mitarbeiter aus dem nicht-medizinischen Bereich. So wie Sucy Pretsch, die sich vor einigen Jahren mit einer Agentur für Design und Marketing selbstständig gemacht hat. Und so wie Philipp Merkt. Fast zehn Jahre lang arbeitete der 35-Jährige im Vertrieb einer großen Kinokette, veranstaltete bundesweit Kinoevents, kümmerte sich um die Werbung. Dann kam die Corona-Pandemie und mit ihr die Schließung der Lichtspielhäuser. Kurzarbeit, immer mehr Kündigungen im unmittelbaren Kollegenkreis. Beide stießen – unabhängig voneinander – im Internet auf die Stellenanzeige, in der Mitarbeiter für die Registrierung im Impfzentrum gesucht wurden. Beide bewarben sich, beide wurden genommen und arbeiten nun häufig in der Frühschicht zusammen. Allerdings auf unterschiedlichen Posten.

In seiner Funktion als Schichtleiter beginnt der Arbeitstag für Philipp Merkt gegen halb sechs mit einem Rundgang durch das Impfzentrum. Türen werden aufgeschlossen, Stühle verrückt, Protokolle des vorangegangenen Abends angesehen und diese mit den ersten Mitarbeitern, die eintreffen, besprochen. Eine immer gleich bleibende Routine gibt es nicht. Vieles ist im Fluss. „Ich mache mich morgens mit kurzfristigen Änderungen in der Impfverordnung oder eventuellen Software-Updates vertraut“, zählt der 35-Jährige einige Beispiele auf. Außerdem muss Merkt die Mitarbeiter auf zehn verschiedene Positionen verteilen – von der Einlasskontrolle über die Registrierung bis zum Beobachtungsraum und Check-Out.

Gegen sieben Uhr füllt sich das Impfzentrum mit Leben. Bis zu zehn Personen kommen in einem Zeitraum von jeweils fünf Minuten. Jeder von ihnen solle sich willkommen fühlen, jeder mit seinen Sorgen ernst genommen werden, versichert Sucy Pretsch. „Die Impfung ist für viele hier eine Riesensache. Manche weinen vor Glück, weil sie nun wieder ihre Enkel sehen können. Oft bekommen wir am Ende zu hören, dass sie uns jetzt am liebsten in die Arme nehmen und küssen möchten.“ Für Pretsch, aber auch für Merkt ist die Arbeit im Impfzentrum ein willkommener Weg, die Zeit sinnvoll zu nutzen, nachdem sie ihre Jobs krisenbedingt derzeit nicht ausüben können. „Es geht nicht nur um das Finanzielle. Im vergangenen Jahr habe ich auch gemerkt, wie sehr mir die menschlichen Kontakte gefehlt haben“, sagt Sucy Pretsch. Hier habe sie nun täglich wieder mit unterschiedlichsten Menschen in unterschiedlichen Altersklassen und aus unterschiedlichen Schichten zu tun. „Kein Tag ist wie der andere.“

Und auch Philipp Merkt möchte die Arbeit im Impfzentrum nicht missen. „Anstatt nur zu bruddeln und immer unzufriedener zu werden, kann jeder in unserer Gesellschaft etwas tun. Wir stellen uns hier gemeinsam dem Kampf gegen die Pandemie.“ Und dafür bekomme man trotz des Stresses sehr viel zurück, beteuert er. „Ich habe hier an drei Tagen mehr Dankbarkeit erfahren dürfen als in zehn Jahren in meinem früheren Job.“