Bei der Demonstration der Veranstaltungsbranche in Berlin machten auch Schausteller auf ihre missliche Lage aufmerksam. Foto: /Jörg Carstensen

Nach der Absage der Weihnachtsmärkte geht den Schaustellern die Luft aus. Nur fünf bis zehn des Jahresumsatzes wurde erzielt. Der Verband kämpft deshalb um finanzielle Unterstützung.

Bad Cannstatt - Die Luft wird immer dünner, für manche bereits zu dünn. Von den etwa 700 Schaustellern in Baden-Württemberg haben 30 Prozent aufgegeben. Ein Jahr ohne so gut wie keine Einnahmen hinterlassen ihre Spuren. „Viele halten sich derzeit mit den letzten Tropfen über Wasser“, beschreibt Mark Roschmann, der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Südwest. Mit fünf bis zehn Prozent des Jahresumsatzes, erzielt auf temporären Freizeitparks wie in Göppingen oder Kirchheim/Teck oder auf Standplätzen in Fußgängerzonen, kann sich jeder ausrechnen, wie die Situation im Schaustellergewerbe aussieht. „Da reichen auch die Überbrückungshilfen nicht aus.“

Kein gutes Gefühl für 2021

Die Hoffnungen ruhten auf einer Durchführung der Weihnachtsmärkte, für die der Deutsche Schaustellerverband spezielle Hygienemaßnahmen erarbeitet hatte. Doch nach der Absage aller Weihnachtsmärkte – Mannheim und Stuttgart waren die letzten – geht das Jahr 2020 ohne Großveranstaltungen und Einnahmequellen zu Ende. „Und für das kommende Jahr habe ich auch kein gutes Gefühl.“ Es gebe bereits Aussagen, dass im April über das Oktoberfest entschieden werde. Viele Kolleginnen und Kollegen von Roschmann haben jetzt den Jahresabschluss für 2019 vorliegen. Einige können sich über Auszahlungen freuen. „Das sieht für den Abschluss 2020 dann anders ganz aus. Da gibt’s nix.“

Mit auf der Demo in Berlin

Daher werde weitergekämpft. „Wir kümmern uns gezielt um finanzielle Hilfen für unsere Branche“, betont der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Südwest. Daher beteiligten sich die Schausteller auch an der Großdemonstration in Berlin am Mittwoch, zu der das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot aufgerufen hatte, um auf die akute Existenznot in der Veranstaltungsbranche hinzuweisen. Kevin Kratzsch, Vizepräsident des Deutschen Schaustellerbundes, gehörte in Berlin zu den Rednern. Eine kleinere Demo gab es in Franken. Die Schausteller werden nicht müde, sich zu zeigen und auf ihre Lage hinzuweisen. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, zitiert Roschmann ein Sprichwort.

Ängste und Sorgen geschildert

Auf der Entscheidungsebene sei vielen wohl nicht klar, dass für die Schausteller und Marktkaufleute, die seit Generationen für Kurzweil und Vergnügen sorgen, die Situation eine andere ist wie etwa für Gastronomen. „Muss da ein Geschäft schließen, kann gegebenenfalls ein Nachfolger übernehmen. Das geht bei uns nicht. Was weg ist, ist weg.“

Auch die sozialen Medien werden genutzt, um auf die missliche Lage hinzuweisen. Da schildern derzeit die jüngeren Schausteller ihre Sorgen und Ängste. Wie Richard Kalbfleisch. Der 18-Jährige ist in fünfter Generation Schausteller. „Ohne die bunten Lichter und strahlenden Kinderaugen fehlt einfach etwas – das Leben, die Liebe zum Beruf und die Freunde. Von heute auf morgen alles weg.“ Kaum vorstellbar, dass man sich als Jugendlicher überhaupt so viele schlaflose Nächte um die Ohren hauen müsse, „da es finanziell kurz vor Schluss heißt“. Schausteller sei kein Beruf, so der 18-Jährige, „sondern ein Kulturgut und unser Leben. Dieses wird gerade einfach stillgelegt.“ Sein Appell: „Lasst uns nicht aussterben.“

Schlaflose Nächte und Existenzangst

Die 23 Jahre alte Alina Moser, Stuttgarter Schaustellerin in vierter Generation, wollte in diesem Jahr in die Selbstständigkeit starten. Die Familie hat Anfang des Jahres ein neues Laufgeschäft, das Labyrinth, erworben. Doch anstatt damit durchzustarten, musste Alina Moser wie ihre Kolleginnen und Kollgene zehn Monate ohne Einnahmen auskommen. „Seit zehn Monaten ohne Fest, ohne Kirmes, ohne Markt. Dazu verdammt, zuhause zu sitzen. Mir bricht es, wortwörtlich, das Herz.“ Anfang der vergangenen Woche ist sie mit ihrem Vater durch die Stadt gefahren, hinter dem LKW das Kinderriesenrad, das normalerweise am Weihnachtsmarkt einen Platz hat. „Menschen haben uns hinterher gesehen, haben gelacht, gelächelt und auf das Karussell gezeigt. Sehnsüchtige Blicke sind mir aufgefallen. Kinder sind auf und ab gesprungen, haben ihre Eltern in unsere Richtung gezogen.“ Sie vermisst ihr Leben. „Ich vermisse es, die Leute lachen zu hören, wenn jemand gegen die Scheibe läuft. Oder in der Kasse zu sitzen. Oder mit dem LKW zur nächsten Kirmes zu fahren.“ Dafür geht die Angst um. „Dass ich meinen Beruf, meine Berufung, einstellen muss, noch bevor mein Schaustellerleben wirklich begonnen hat.“

Deshalb gibt Mark Roschmann nicht auf. „Wir kämpfen weiter“, verspricht der Verbandsvorsitzende.