Freut sich auf die neue Freiheit: Brigitte Lösch. Foto: /Edgar Rehberger

Nach 20 Jahren als Landtagsabgeordnete der Grünen, zehn Jahre in der Opposition, zehn Jahre in der Regierung, hört Brigitte Lösch auf. Nach 514 Plenarsitzungen und 255 Reden freut sie sich aufs Ende der fremd bestimmten Zeit die neue Freiheit.

Bad Cannstatt - Nach 20 Jahren endet für Brigitte Lösch die Arbeit als grüne Landtagsabgeordnete. Angefangen hat sie 2001 in der damals kleinsten Oppositionspartei, die zehn Jahre später an die Regierung kam. Ihr Mandat endet Ende April. Bis dahin ist sie noch täglich in ihrem Büro, führt Schrift- und Email-Verkehr. „Ich bekomme noch immer viele Anfragen.“ Zudem steht noch eine Corona-Sondersitzung im Landtag auf dem Kalender und eine Veranstaltung, zu der sie als Landtagsabgeordnete eingeladen ist. Einerseits freut sie sich auf die neue Freiheit und das Ende der fremd bestimmten Zeit, andererseits „kommt langsam etwas Wehmut auf“. Ein letztes Mal dies, ein letztes Mal das. Es geht ans große Aufräumen, viel wird geordnet, viel ausgemistet. Das Staatsarchiv hat sich gemeldet, will Schriftverkehr und Unterlagen übernehmen.

Die Freude überwiegt

„Aber die Freude überwiegt“, fasst sie ihre Gemütslage zusammen. Nach 20 Jahren sei es Zeit aufzuhören. 255 Reden hat sie gehalten, 137 Anträge gestellt und an 514 Plenarsitzungen teilgenommen. Sie gehe ja nicht in Rente., „Ich bin jetzt 58 und fange etwas Neues an.“ Die Sozialpädagogin macht noch bis Januar 2022 eine Ausbildung als Mediatorin. „Ich warte ab, was kommt. Ich bin schon immer ins kalte Wasser gesprungen.“ Unweit ihrer Wohnung hat sie einen Raum angemietet, der zum „Büro Frau Lösch“ wird. Auch sozialpädagogisch und ehrenamtlich wird sie sich engagieren. Etwa beim Kochen im Café 72, einer Einrichtung der Ambulanten Hilfe in Bad Cannstatt. Darauf freut sie sich. Denn ihr Leben als Abgeordnete war streng durchgetaktet. Dies sei schon zermürbend. „Die Spontanität und die eigene Kreativität gehen verloren.“ Und das Privatleben bleibe auf der Strecke.

20 Jahre lang Abgeordnete im Baden-Württembergischen Landtag, davor acht Jahre Stadträtin in Geislingen – hat das die Person Brigitte Lösch verändert? Sie überlegt lange. „Das verändert einen schon.“ Man müsse schon aufpassen, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. „Man lebt in einer Blase.“ Ihr Freundeskreis habe aber dafür gesorgt, dass sie geerdet blieb. „Bei politischen Themen bin ich ungeduldiger geworden.“ Etwa bei der Frauenpolitik. „Da wird immer noch diskutiert.“ Die Arbeit in der Opposition sei lehrreich gewesen. „Man muss selbst politische Konzepte erarbeiten.“ Das hat sie auch gemacht. Ihr Konzept zur frühkindlichen Bildung fand Aufnahme in den Koalitionsvertrag.

Einige persönliche Enttäuschungen

Der schönste Moment war zweifellos der Wahlabend 2011, als Winfried Kretschmann und Nils Schmid in den Landtag kamen und klar war, dass es für eine Regierungsmehrheit reicht. „Da habe ich doppelt geweint. Denn ich habe auch das Direktmandat in meinem Wahlkreis geholt.“ Ein schlimmer Moment sei für sie als Gegnerin das Ja zu Stuttgart 21 gewesen. „Es gab einige persönliche Enttäuschungen, auch innerhalb der eigenen Partei.“ Denn sie steht zu ihren Überzeugungen und geht auch unbequeme Wege, was nicht immer ankommt.

Lösch hat vor fünf Jahren in Bad Cannstatt ihr „grünes Büro“ eröffnet. „Das ist schnell zum Ort der Kommunikation geworden.“ Ihre Bürgersprechstunden wurden gut angenommen. „Da haben sich die unterschiedlichsten Leute, Institutionen und Vereine vorgestellt, haben ihr Anliegen vorgetragen oder um Unterstützung gebeten.“ Darunter auch Skurriles. „Einer wollte Geld zur Bergung eines Goldschatzes der Nazis.“ Dem Herren konnte sie nicht helfen, aber die anderen Anliegen wurden ernst genommnen und aufgegriffen, zahlreiche Briefe an die Verwaltung und Bürgermeister verschickt. „Ich habe mich als Ansprechpartnerin für alle in meinem Wahlkreis gesehen.“ Im grünen Büro, das in der Erbsenbrunnengasse bleiben und von ihrer Nachfolgerin Petra Olschowski, „wenn es klappt“, weitergeführt werden soll, gab es Lesungen, wurden kleine Filme gezeigt oder Weinproben durchgeführt. Bis Corona auftauchte.

Netzwerk in Bad Cannstatt funktioniert

„Das Netzwerk in Bad Cannstatt hat gut funktioniert, die Zusammenarbeit mit Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler und Dekan Eckart Schultz-Berg großen Spaß gemacht.“ In der Erbsenbrunnengasse nahm auch der Weltladen konkrete Formen. Nach dem Zeitungsbericht meldete sich ein Ehepaar, das Ladenfläche dafür anbot. „In Bad Cannstatt kann man wunderbar miteinander agieren“, ist sie überzeugt. Der Wahlkreis sei toll, „urban und ländlich“. Den Neckar sieht sie als etwas Verbindendes und nicht Trennendes. „Mehr Querungshilfen müssten es sein.“

Eine große Abschiedsparty mit allen Wegbegleitern kann zur Zeit nicht geplant werden. „Das ist schade.“ Die werde in jedem Fall als Outdoor-Party in einem Waldheim oder Biergarten nachgeholt. Bedauert hat sie auch, dass sie nicht noch ein letztes Mal am Kübelesrennen auf dem Marktplatz oder dem Volksfest-Umzug teilnehmen konnte.