Eine Utopie? So könnte der Rosenbergplatz ohne Autos aussehen. Foto: visualutopias.com

Für eine Ausstellung lässt Jan Kamensky Autos aus der Stadt verschwinden – rein virtuell. Der Rosenbergplatz in Stuttgart wirkt nach der Verwandlung wie ein Paradies. Der Kommunikationsdesigner schafft zwar Utopien, aber sie wirken in der Realität.

Die Pandemie hat Jan Kamensky auf neue Ideen gebracht: Die leeren Straßen im ersten Lockdown inspirierten ihn zu Animationen, in denen die Autos Richtung Himmel fliegen und aus grauem Beton grüne Oasen werden. Es ist sein Beitrag für den gesellschaftlichen Wandel.

Herr Kamensky, warum haben Sie sich ausgerechnet den Rosenbergplatz in Stuttgart vorgenommen?

Zum einen war die Animation für Stuttgart eine Auftragsarbeit für die Ausstellung „Grün Stadt Grau“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Und zum anderen habe ich einen persönlichen Bezug dazu: Meine Uroma und mein Uropa haben in der Rosenbergstraße 80 gewohnt, sie hatten eine Schallplattenhandlung. Ich kenne den Stuttgarter Westen gut von meinen Kindheitstagen. Und der Rosenbergplatz ist perfekt für eine Verwandlung. Fünf Straßen gehen von ihm ab, es gibt keine Bäume, keine Fahrradwege, dafür als besonderes Highlight eine Tankstelle. Ich mache daraus einen Urban-Gardening-Ort.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Zum Beginn der Coronapandemie habe ich mir die Frage gestellt: Welchen Beitrag kann ich für den gesellschaftlichen Wandel leisten? Ich wollte mich nicht länger damit begnügen, darauf zu warten. Die leeren Straßen im ersten Lockdown haben mich inspiriert und mir vor Augen geführt, dass ich eine Stadt ohne Autos sehen wollte. Als Kommunikationsdesigner beherrsche ich die Werkzeuge der Bildbearbeitung und der Animation. Hier kann ich mein Talent einsetzen. Also habe ich angefangen, die Straßen von Autos zu befreien und virtuelle Bäume zu pflanzen. Ich schaffe Utopien, weil eine Utopie einen hohen Kontrast zur Gegenwart und zur Realität hat. Ich will Möglichkeiten sichtbar machen: Was passiert, wenn man Straßen, die von Autos dominiert werden, in menschenfreundliche Orte verwandelt.

STUTTGART: ROSENBERGPLATZ from Jan Kamensky on Vimeo.

Utopien werden selten Wirklichkeit . . .

Wer meine Utopien betrachtet, hat im besten Fall einen geschärften Blick für die Realität. Das ist meine Intention – weniger die Umsetzung. Das wäre natürlich auch toll und manchmal nicht so fern. Aber ich bin kein Architekt, sondern ein visueller Utopist. Wenn man jetzt zum Beispiel an den Rosenbergplatz geht, hat man meine Bilder im Kopf und denkt: Es könnte auch anders sein. Wenn sich die Bilder in den Köpfen festsetzen, habe ich mein Ziel erreicht. Die Mobilitätswende muss zuerst in den Köpfen stattfinden, bevor sie auf der Straße umgesetzt werden kann.

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Utopien?

Sehr positiv! Diese Animationen sind mittlerweile meine Hauptaufgabe. Sie funktionieren gut und erreichen die Menschen. Aber natürlich gibt es auch kritische Töne, gerade was die Umsetzung der Animationen angeht.

Aus wie vielen Städten haben Sie schon die Autos verschwinden lassen?

Etwa aus zwei Dutzend, aus Brüssel, Hamburg, Paris und New York unter anderem. Und es kommen noch einige dazu. Schön an den Animationen ist, dass sie leicht zu verstehen sind und grenzüberschreitend funktionieren.

Besuchen Sie die Orte vor ihrer Verwandlung?

Ja, die Bilder mache ich selbst – auch um die Umgebung besser kennenzulernen, mit Menschen dort zu sprechen, Wünsche und Anregungen zu bekommen. Im Fall von Stuttgart war es ideal, denn im Westen kenne ich mich aus. Das war ein Herzensprojekt für mich.

Zur Person

Person
Jan Kamensky hat an der Hochschule für Angewandte Gestaltung in Hamburg Kommunikationsdesign studiert. Der 35-Jährige war als Grafiker und Screendesigner bei dem Hamburger Verlag Gruner & Jahr tätig und danach mehr als fünf Jahre lang Artdirector beim Fußballverein FC St. Pauli. Seit Februar dieses Jahres ist er selbstständig, seit zwei Jahren erstellt er die autofreien Animationen.

Inspiration
Jan Kamensky nennt seine utopische Bewegung #FlyingCarMovement und freut sich über Mitstreiter. Wer auch Autos verschwinden lassen möchte, dem ist ein Vortrag zu empfehlen, den er für die Universität von Amsterdam zum Thema „Making Utopias Visible“ hielt. Davon von gibt es (auf Englisch) ein Video auf Youtube.