Foto: mumok13/Deinhardstein_Rastl

Gibt es jemanden, der noch nie von Niki de Saint Phalle gehört hat? Die dicken, bunten Frauenfiguren sind Kult. Aber die Künstlerin hatte auch eine andere Seite, sie erschoss zum Beispiel ihre eigenen Bilder. Eine Schau in Zürich richtet nun einen neuen Blick auf ihr Werk.

Eines war sie definitiv: provokant. Die riesige Frauenfigur von Niki de Saint Phalle (1930-2002) hatte nicht nur breit gespreizte Beine, nein, das Publikum konnte direkt durch die Scham ins Innere des Körpers marschieren. 25 Meter war „Hon“ groß, die die Künstlerin 1966 in einem Stockholmer Museum ausstellte. 100 000 Besucherinnen und Besucher tauchten ein ins Innere „der größten Hure der Welt“, wie Niki de Saint Phalle ihre Figur nannte. Drinnen gab es eine Sandwich-Maschine, in der Brust war eine Milchbar und im Arm ein Kino, in dem ein Kurzfilm mit Greta Garbo lief.

Sexualität und weibliche Körper waren das Kerngeschäft von Niki de Saint Phalle, die mit ihren dicken, oft fröhlich bunt bemalten Figuren Weltkarriere machte. In vielen Städten stehen ihre üppigen „Nanas“ im öffentlichen Raum, sie wurden zu einer Art Markenzeichen und werden noch heute, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, auf Schals und Taschen vermarktet, auf Decken, Schlüsselanhängern und Parfümflakons. Diese fröhlichen Frauenfiguren haben Niki de Saint Phalle populär gemacht – was im elitären Kunstbetrieb durchaus kritisch beäugt wurde.

In der Psychiatrie finde sie zur Kunst

Doch sie konnte auch anders. Das Kunsthaus Zürich hat nun eine hoch spannende Ausstellung zu Niki de Saint Phalle zusammengetragen, die selbst längst nicht so fröhlich und unbeschwert war, wie ihre drallen Damen es vermuten ließen. Als sie 1994 ihre Autobiografie schrieb, gab sie eine Erklärung für die Sexualisierung ihrer Kunst. Sie wurde seit ihrem elften Lebensjahr vom Vater sexuell missbraucht. Die Mutter hatte wechselnde Liebhaber und schlug die Kinder. Und wenn man nun in Zürich dem überraschenden Frühwerk begegnet, spürt man, welche Wut und Aggression die Traumata ihrer Kindheit ausgelöst haben.

Sie sei eine „zornige junge Frau gewesen“, sagte sie selbst. Der Vater, alter französischer Adel, war Banker, der beim Börsenkrach 1929 alles verlor. Die Mutter war Amerikanerin, sodass Niki zunächst in Frankreich und dann in New York lebte und auf eine Klosterschule geschickt wurde. Sie heiratete früh, bekam zwei Kinder und als sie nach einem Nervenzusammenbruch in der Psychiatrie landete, begann sie zu malen. Es war wie eine Erweckung für sie: „Ich umarmte die Kunst als Erlösung und Notwendigkeit“.

Sie schießt auf ihre eigenen Werke

Ihre ersten Gemälde wirken naiv und sind doch schroff und befremdlich. Bald beginnt Niki, Objekte auf der Leinwand zu Assemblages zusammenzufügen, Eisenwaren aus dem Baumarkt, Gummiringe und immer wieder Puppen und Spielzeug. Vieles, was nun in Zürich zu sehen ist, ist düster und befremdlich und packt einen als Betrachter ganz unmittelbar. Auf ihrem großformatigen „Altar der Frauen“ stellt sie Braut und Mutter dar – und kleine Babyfigürchen kriechen wie Würmer über die Handfläche der Mutter. Schaurig ist das – und stark.

Die Ausstellung zeigt aber auch, wie kreativ und vielseitig diese hübsche junge Frau war und wie lustvoll sie experimentierte und eines Tages sogar zum Gewehr griff und auf ihre eigenen Arbeiten ballerte. Sie beschmierte Tomaten, Eier und Farbbeutel mit Gips, brachte sie auf ihren großen Bildwerken auf und schoss dann in spektakulären Performances mit einem Gewehr darauf, sodass die Farbe spritze und über die Werke floss. Es war ein Akt der Befreiung. Sie schoss auf „die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie“ – also auf alle, die Macht missbrauchten.

Im Kontext dieser aggressiven Werke wirken auch die Nanas nicht nur fröhlich und freundlich. Die zwei riesigen Frauen, die an einem Caféhaus-Tisch sitzen und auf Männerfang sind, wirken fett und nachgerade monströs. Sie sind das absolute Gegenbild zu Niki de Saint Phalle, die eine schlanke, schöne Frau war und in jungen Jahren auch als Fotomodel Karriere machte und es schnell in die Vogue und die Elle schaffte. Erst im Lauf der Jahre wurden ihre Figuren verbindlicher und später driftete sie dann durchaus auch ins Dekorative ab und überzog ihre Figuren mit köstlich schimmernden Fliesenscherben und viel Gold. Politisch blieb sie trotzdem, protestierte mit kommentierten Zeichnungen gegen die amerikanische Waffenlobby, warnte vor der globalen Erderwärmung und setzte sich für Abtreibung ein.

Vermutlich half ihr auch der Erfolg dabei, Wut und Bitterkeit der früheren Jahre abzuschütteln. Sie bekam immer mehr Aufträge im öffentlichen Raum. Und 1998 konnte sie endlich ihr Lebensprojekt vollenden, ihren „Tarotgarten“ in der Toscana, wo sie riesige begehbare Großskulpturen in einen Park stellte, unförmige Bauten mit einer Haut aus Spiegeln, Farbe, Fliesen. Die Nähe zu Antoni Gaudí ist unübersehbar – sie war ein großer Fan von ihm.

Auf den übergriffigen Vater rechnet sie auf vielerlei Weise ab. Sie drehte einen Film über ihn, an dem am Schluss auf sein Bild geschossen wird. In der Züricher Ausstellung stolpert man auch über einen bitterbösen Text, mit dem sie sich vom Dämon ihres Elternhauses befreite: „Ich hab den Papa umgebracht, die Mutter schoss ich tot, den Kopf hab ich ihm abgehackt, ich musst es leider tun.“

Stuttgarter Kurator sagt Adieu

Abschied
Mit der Ausstellung verabschiedet sich der Direktor Christoph Becker vom Kunsthaus Zürich. Die Karriere des 1960 geborenen Esslingers begann in der Staatsgalerie Stuttgart, wo er zunächst volontierte und dann Konservator wurde. Während seines Studiums war er auch als Lektor beim Kunstverlag Gerd Hatje in Stuttgart tätig. Neue Direktorin am Kunsthaus wird Ann Demeester. Es ist das größte Museum der Schweiz, das in jüngerer Zeit aber zunehmend in die Kritik geriet.

Info
Ausstellung bis 9. Januar, geöffnet Di bis So 10 bis 18 Uhr Mi, Do bis 20 Uhr. adr