Der Lettner – eine Art Baldachin – trennt die Kirchengemeinde räumlich vom Altarraum und gewährt trotzdem Einblick. Foto: Ralf Poller/avanti

Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Heute: die Cyriakuskirche in Bönnigheim.

Sie ist die einzige Kirche in Württemberg, in der Lettner und Hochaltar noch zusammen erhalten sind. Und wer schon immer wissen wollte, welche Frau in Deutschland angeblich die meisten Kinder geboren hat, wird auch in der Cyriakuskirche in Bönnigheim fündig.

Was ist über die Historie bekannt? Die Cyriakuskirche gilt als Schmuckstück der Spätgotik, das 1100 erstmals erwähnt wird. Das älteste erhaltene Bauteil ist der Turm von 1280, danach wurde der als dreischiffige Basilika gestaltete Hauptbau errichtet und etwa 1351 fertiggestellt. Der neugotische Charakter der Kirche ergibt sich aus den Seitenschiffen, die 1864 erneuert wurden. Der neugotische Altar stammt von 1864. Sie ist nach dem heiligen Cyriakus – einem der 14 Nothelfer und zugleich Schutzheiliger des Weinbaus – benannt, der aufgrund seines Glaubens hingerichtet wurde.

Warum ist der Lettner noch erhalten, obwohl es eine evangelische Kirche ist? Der gotische Lettner, eine Art Baldachin vor dem Altar, der die Kirchengemeinde und die Priester räumlich trennt, ist 1440 entstanden und gibt den Blick auf den Hochaltar frei. Neben Esslingen und Tübingen ist der Bönnigheimer Lettner der letzte in Württemberg. Die beiden anderen Kirchen haben aber ihre gotischen Hochaltäre verloren. Was steckt dahinter? Fast 400 Jahre lang hatten verschiedene Rittergeschlechter erblichen Besitz und teilten sich die Verwaltung der Wein- und Handelsstadt Bönnigheim; die wichtigsten sogenannten Ganerben waren die Herren von Sachsenheim, Neipperg, Liebenstein und Gemmingen, nach denen die Altstadtviertel benannt sind. Bönnigheim gehörte zum Besitz des Erzbischofs von Mainz. Die Ganerben von Bönnigheim wurden im Zuge der Reformation evangelisch. Der Erzbischof von Mainz blieb allerdings oberster Stadtherr und verhinderte, dass diese Kostbarkeiten bei den Bilderstürmen als katholisch eingestufte Kunstwerke zerstört wurden.

Was macht den Lettner aus? Im mittleren Bogen des Lettners zieht das gotische Kruzifix die Blicke auf sich, das eindrucksvoll das Leiden Christi zeigt. In der linken Seite des Lettners ist durch die Aufstellung des spätgotischen Taufsteins fast eine Taufkapelle entstanden, verstärkt durch die Glasfenster zum Thema „Wasser“. Im rechten Seitenflügel des Lettners ist der Ölberg aufgestellt, eine hochwertige, charaktervolle Schnitzarbeit der Spätgotik, die um 1470 entstanden ist.

Was sind noch besondere Hingucker? Da ist zum einen der gotische Flügelaltar von 1500. Im Mittelpunkt steht die Anbetung der Heiligen Drei Könige. Darunter ist zentral der Kirchenheilige Cyriakus zu sehen. Für eine evangelische Kirche ist ungewöhnlich, dass auf dem rechten Flügel Jesus dargestellt ist, wie er an Petrus, der als Papst und somit als Stellvertreter Gottes erscheint, den Himmelsschlüssel übergibt. Das rechte Relief zeigt den Erzengel Michael mit der Seelenwaage. Auf dem linken Flügel ist außen Anna Selbdritt zu sehen, die Schutzpatronin der Mütter, daneben der heilige Wolfgang. Oben im Gesprenge zeigt Jesus als Schmerzensmann seine Wundmale. Darunter Katharina mit dem Schwert und Barbara mit dem Kelch. Auf der unteren Stufe stehen die trauernde Maria und der Lieblingsjünger Johannes. Sehr ansprechend ist auch die Predella. Sie zeigt in fünf Rundnischen eine sehr lebendige, lebensfrohe Darstellung des heiligen Abendmahls, bei dem auch ein 13. Jünger abgebildet ist. Der gedeckte Tisch lässt verschiedene Brote und Weingläser erkennen. Es wird aber auch Fleisch gegessen. Spannend ist das Bild der Barbara Schmotzerin und ihrer Familie aus dem 16. Jahrhundert. Sie galt als kinderreichste Frau Deutschlands und soll 53 Kinder zur Welt gebracht haben: 38 Söhne und 15 Töchter. Darunter waren jedoch 18 Totgeburten, und keines der Kinder ist älter als sieben Jahre geworden.

Wann finden Führungen statt, und wie sind die Öffnungszeiten der Kirche? Die Kirche ist unter der Woche geschlossen und nur sonntags zwischen 15 und 17 Uhr geöffnet. Die Kirche ist aber auch immer Teil der Stadtführung, die von Kurt Sartorius angeboten wird. Der frühere Ingenieur ist ein wandelndes Lexikon, was Geschichten und Geschichte der 8000-Einwohner-Gemeinde angeht. Er ist Vorsitzender der Historischen Gesellschaft und außerdem Gründer des Schnapsmuseums. Er bietet aber auch reine Kirchenführungen an. Anmeldung unter Telefon 0 71 43 / 2 25 63. Alternativ gibt es am Freitag, 23. September, um 11 Uhr eine Führung mit Orgelmusik unter dem Motto „Farben, Formen und Figuren“. Aber auch vor der Kirche ist es recht schön – gerade bei heißen Temperaturen ist die Rundbank unter der Linde ein herrliches Plätzchen.

Eine Stadt mit vielen Facetten

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Vielfalt
Bönnigheim verfügt über fünf Burgen und Schlösser. Der Besuch des Sophie-La-Roche-Museums lohnt sich ebenso. Es gibt Einblick in das Leben der Schriftstellerin und Mitbegründerin des empfindsamen Romans. Führungen auf Anfrage bei Kuratorin Charlotte Neri unter Telefon 0 71 43 / 2 35 05. Ein Kontrastprogramm bietet dazu das Schnapsmuseum, das von April bis Oktober sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet ist. Weitere Infos unter www.boennigheim.de