Den melancholischen Tschechow mal von einer anderen Seite zeigte die Herrenberger Bühne: mit zwei Komödien in jeweils einem Akt.
Wenn Tschechow auf dem Spielplan steht, rechnet man mit einer Darstellung des gesellschaftlichen Niedergangs und am Ende mit einer Katastrophe. Anders gestalteten sich die Abende in Herrenberg auf der Sommerfarben-Bühne und dann zweimal in der Alten Turnhalle.
Die Einakter „Der Bär“ und „Der Heiratsantrag“ waren für Tschechow eine Art Ventil für seinen durchaus vorhandenen Humor. Im Zentrum von „Der Bär“ steht die Gutsbesitzerin und Witwe Popowa, die sich nach dem Tod ihres Mannes in Trauerkleidung in ihrem Haus eingeigelt hat. Thea Orlich gibt sie als ein ätherisches, versnobtes Geschöpf, das ihrem (untreuen) Gatten ewige Treue gelobt hat und von ihrer lebensfroheren Bediensteten Luca (Kerstin Daniel) umhegt wird.
Ein lästiger Besucher reißt Popowa aus ihrem Tran. Es ist Smirnow, ein Gläubiger des Verstorbenen, der unverzüglich Geld für die Begleichung von Zinsen braucht und von Emily Widmann als eine Art Rumpelstilzchen mit weichem Kern verkörpert wird.
Die Situation spitzt sich zu
Ihn abwimmeln? Keine Chance, und so müssen sich die beiden notgedrungen miteinander auseinandersetzen, was die Schauspielerinnen unter Einsatz aller Register der Rhetorik tun. Die Situation spitzt sich dermaßen zu, dass ein Duell droht. Doch da kann Smirnow schon nicht mehr an sich halten: „Was für eine Frau!“ So gerät das Pistolentraining zur erotischen Annäherung und alles löst sich in Wohlgefallen auf.
Wieso fiel die Wahl auf die für Tschechow eigentlich untypischen Komödien? „Ich wollte ursprünglich ein Stück zum Bauernkriegsjubiläum machen“, sagt die Regisseurin Sabine Bethge. Und da kamen ihr die Einakter in den Sinn, denn im „weitesten Sinne“ handelten sie ja von Gutsbesitzern. Ein weiterer Antrieb war, dass aus unterschiedlichen Gründen gerade mehrere Akteure pausieren.
Auch „Der Heiratsantrag“ kommt mit drei Personen aus: Der hypochondrische Lomow kreuzt mit einem Rosenstrauß beim Nachbarn Tschubukow auf (Peter Bethge: erst leutselig, dann ehrpusselig). Er möchte dessen Tochter Natalia ehelichen (Franziska Blasius: erst charmant, später kindisch und starrsinnig). Doch aufgrund von Streitigkeiten wegen einer Ochsenwiese gerät der Antrag aus dem Fokus, bis sich beide Fraktionen ein Schreiduell liefern und gegenseitig mit Schimpfwörtern überziehen. Aber dann werden sie sich – auch unter dem Eindruck einer Ohnmacht Lomows – doch einig. Schon kurz nach dem Eheversprechen kriegen sie sich jedoch erneut in die Haare und der Zuschauer erkennt, dass die beiden Streithähne einfach füreinander geschaffen sind. Obwohl etliche Plätze in der Alten Turnhalle leer geblieben sind, regnet es für die schweißtreibende Ensemble-Leistung und die Wortwechsel, die unbedingte Geistesgegenwart erfordern, lauten Applaus.