In den sechziger Jahren spielte Jean Marais das Phantom Fantomas. Foto: imago

In den sechziger Jahren war der Schurke Fantomas eine Figur launiger Kinokracher. Die Arte-Doku „Fantomas gegen Louis de Funès“ erinnert an seine viel gruseligeren Anfänge.

Stuttgart - Die Welt ist kein gemütlicher Ort. Daran sollte man jeden erinnern, der es sich kurz mal gemütlich gemacht hat, dachten sich die beiden französischen Journalisten Marcel Allain und Pierre Souvestre und ließen 1911 den Superverbrecher Fantomas auf das Lesepublikum los. Schock und Lustgrusel waren ungeheuerlich: Fantomas kassierte ab und an zwar ab. Aber er beging seine scheußlichen Verbrechen nicht mit Gewinnabsicht. Es ging ihm zum einen um die Tat an sich, zum anderen um deren Wirkung auf die Öffentlichkeit. Halb perverser Aktionskünstler, halb skrupelloser Terrorist, zielte Fantomas auf den größtmöglichen, gesellschaftszersetzenden Schrecken ab. Seine Taten waren Manifeste von Hass und Verachtung.

Louis de Funès’ Erfolg wird ein Problem

Die Arte-Dokumentation „Fantomas gegen Louis de Funès“ von Dimitri Kourtchine will diesen gruseligen Ur-Fantomas unter jener späteren ulkigen Kinovariante hervorziehen, die ihn fast ganz unter sich begraben hat. Zwischen 1964 und 1966 drehte André Hunebelle drei locker-flockige Unterhaltungsfilme um den Verwandlungskünstler Fantomas: mit Jean Marais in einer Doppelrolle als Schurke hie wie als Journalist auf Spuren von Fantomas da – sowie mit Louis de Funès als glücklosem Polizisten. Von Anfang an waren launige Abenteuerspektakel geplant, aber auch dank dieser Reihe stieg Louis de Funès vom mittelprächtig erfolgreichen Spaßmacher zum Superstar auf. Im dritten und klamaukigsten Teil, „Fantomas bedroht die Welt“, stand er im Mittelpunkt. Und dem betagten Figurenerfinder Marcel Allain platzte der Kragen.

Dass ein französisches Gericht die Ehre des perfiden Massenmörders Fantomas verteidigen musste – das ist ein schön irrer Schlenker der Popkulturgeschichte. Allain hatte geklagt, weil der düstere, unheimliche Fantomas zu einer bloß noch läppischen Figur verzerrt worden sei. Und man kann seinen Grimm zumindest gut verstehen, auch wenn man die Fantomas-Filme der Sechziger mag.

Anarchistischer Groll hinter den Kulissen

Allain und Souvestre hatten anfangs im Monatstakt 400-Seiten-Romane vorgelegt. Das ging nur, weil sie nicht selbst schrieben, sondern auf Wachswalzen diktierten und abtippen ließen. 33 Romane schrieben sie gemeinsam, elf weitere legte Allain nach Souvestres Tod alleine vor. Dass es keine Groschenhefte waren, sondern richtige, nur spottbillige Romane, war auch eine Attacke auf Kulturbetrieb und -dünkel. Die Surrealisten waren begeistert, der Schurke mit den vielen Masken wurde Künstleridol und Symbol für anarchistischen Groll hinter den Kulissen einer von kapitalistischem Aufschwung und technologischer Innovation berauschten Welt. Magritte malte Fantomas mehrfach, das Stummfilmkino griff ihn auf.

Kourtchines Doku zieht Linien von Fantomas zu Batman und zum Joker, zum Marvel-Universum, zu „Mission: Impossible“ und zum Terrorismus. Auch Frankreichs Justiz sah den dunklen Kern und entschied gegen das Kino. Allain bekam 100 000 Francs Schadenersatz zugesprochen. Dieser Sieg war zugleich eine Niederlage, denn danach traute sich lange niemand mehr an Fantomas heran. Vielleicht wäre die Zeit reif für eine Rückkehr des Verbrechers, der den Hunger der Medien nach dem Schrecken bedient.

Fantomas gegen Louis de Funès. Arte, Freitag, 21.45 Uhr. Bereits in der Mediathek.