Die ARD-Miniserie „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ spielt packend mit dem Mythos, der sich um den von der RAF ermordeten Deutsche-Bank-Chef rankt. Überragend: Oliver Masucci in der Titelrolle.
Es ist das Jahr 1987. „Die Welt ist in zwei Blöcke geteilt und Deutschland in Ost und West“, informieren zwei Textzeilen die geschichtsvergessenen unter den Zuschauern. Alfred Herrhausen macht sich auf den Weg nach Washington zur Tagung der Deutschen Bank. Das Wort, das er dort in den Mund nimmt, versetzt die Welt in Aufruhr: Schuldenerlass! Doch noch bevor der Serienauftakt von „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ an einen Schlüsselmoment in der Karriere des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen (1930–1989) erinnert, konfrontieren der Drehbuchautor Thomas Wendrich und die Regisseurin Pia Strietmann die Zuschauer mit einer Horrorsequenz: Die Weihnachtsfeier der Deutschen Bank in Frankfurt wird von Gewehrsalven zerrissen; Terroristen suchen unter den panischen Gästen nach einer ganz bestimmten Person – und finden diese unterm Weihnachtsmannkostüm: „Ich bin Alfred Herrhausen“, bekennt sich dieser. Dann erwacht er aus dem Albtraum.
Zu Beginn stecken Wendrich und Strietmann packend die Pole ab, innerhalb derer sich ihre Miniserienversion der letzten beiden Lebensjahre Herrhausens bewegt. Wir sehen den Wirtschaftsboss, dessen Überzeugungen die Weltpolitik aufmischen. Wir sehen auch: den Menschen, der die existenzielle Bedrohungslage zu verarbeiten hat, die sein Job als oberster Banker der Bundesrepublik mit sich bringt.
Das Schreckgespenst, Opfer eines Anschlags oder einer Entführung zu werden, sucht Herrhausen im Laufe der vier Episoden (ARD-Mediathek), die im Ersten als eigens geschnittener Zweiteiler gezeigt werden, immer wieder heim. Die Gefahr konnte er nicht bannen: Am 30. November 1989 wurde er bei einem Autobombenanschlag getötet, zu dem sich die RAF bekannte. Ganz aufgeklärt werden konnte die Ermordung nie, was den Mythos um den Topbankier begünstigte, der das Klischee des abgehobenen Kapitalisten Lügen strafte. Die „SZ“ nannte ihn den „guten Menschen aus dem Bankenturm“. Das Drehbuch spielt gekonnt mit dem Mythos, füttert und demontiert ihn gleichermaßen.
Oliver Masucci mutet von der ersten Einstellung an als Idealbesetzung für die charismatische Figur an. Sein Herrhausen ist ein wagemutiger Visionär, kluger Denker, redegewandt dazu, ein von Überzeugungen wie vom Instinkt geleiteter Machtmensch, der aber ein soziales Gewissen hat – vor allem dann, wenn dies seinen Interessen, also denen der Bank, dient. Herrhausens Gott ist allein der Markt. Das Geld, über das er herrscht, wie der auf eine „Spiegel“-Schlagzeile zurückgehende Titel der ARD-Produktion konstatiert, ist für ihn lediglich der Nährstoff, der den freien Kräften der Marktwirtschaft zur Entfaltung verhilft.
Mit seiner Forderung nach Schuldenerlass für die armen Länder bewegt er sich auf genauso vermintem Terrain wie bei seinem Plan, der UdSSR Milliardenkredite zu gewähren, damit Gorbatschows Reformen zu pushen – und auch das Ende der DDR einzuläuten. Womit sowohl die USA als auch Honecker & Co. gewaltige Probleme haben, weshalb ihre Geheimdienste Herrhausen ins Visier nehmen.
Das Drehbuch hebt klar ab auf die Verquickung von Wirtschaft und Politik im Deutschland vor der Wiedervereinigung, die sich in dem Vorstandssprecher kristallisiert, umreißt ihn als Schlüsselfigur in einer Zeit des dramatischen globalen Umbruchs. Kohl, Genscher, Mielke, Gorbatschow, Kissinger –alle treten sie auf.
Der Vierteiler ist Biopic, Wirtschafts-, Politik-, Agententhriller in einem und gefällt sich genretypisch darin, die Handlungsorte rasant zu wechseln, von den Banktürmen in Frankfurt zum Bonner Kanzleramt, zur Privatvilla in Bad Homburg, zu den Kölner Bürostuben des Verfassungsschutzes, zu den Terroristenunterschlüpfen im Nahen Osten, dazu Mexiko, Moskau, Sofia – es kann einem schwindlig werden. „Stillstand ist der Tod“, das ist auch Herrhausens Mantra. Er arbeitet bis zum Umfallen, dehnt Leistungsbereitschaft weit über seine Schmerzgrenzen aus. „Macht muss man wollen“, noch ein Herrhausen-Bonmot. Und er will sie.
Mit Raffinesse bootet er seinen Rivalen von Grofen (Thomas Loibl) in der Vorstandsrunde des damals größten Bankhauses der Welt aus. Man schaut Masucci dank seines fein dosierten Spiels genüsslich dabei zu. Und die 80er-Jahre-Optik ist top. Der Zuschauer darf Mäuschen spielen in der in dunkles Tuch gewandeten Männerwelt der Großkopferten und die Geschlechterverhältnisse studieren, wenn die Vorzimmerdame Frau Pinckert (Ursula Strauss) dem Chef die Krawatte zurechtzupft, bevor er in den Vorstandsring zieht. Das alles hat einen eigenen Touch, entwickelt einen Sog, was auch am Soundtrack liegt. Bisweilen schrammt man vielleicht ein wenig nah am Werbeclip vorbei. Besonders Spaß macht die Episode, in der Herrhausen die erste Frau in die bislang rein männliche Apostelrunde – es sind elf Vorstandsmitglieder – hineinschmuggelt: Ellen Schneider-Lenné soll die Bank ins digitale Zeitalter führen. Föhnwelle, Rüschenbluse, viel Witz, sehr viel Verstand: herrlich, wie Bettina Stuckys Figur die anfangs noch gönnerhaft lachende Herrenrunde auflaufen lässt.
Die Banker, die Geheimdienstler, die Terroristen, die Politikgrößen – alles wird parallel erzählt, die Wahrheit nimmt viele Gestalten an – der Zuschauer ist per Vorwort vorgewarnt. Ihr umfangreiches Personal fügen die Serienmacher zu einem Spinnennetz. In dessen Mitte: Herrhausen. Die Figuren um ihn herum sind nicht mehr als kleine Fliegen.
Die Serie „Herrhausen“ zeigt die Terroristen als abgerissene Gestalten
Bei seinen Vorstandskollegen, gegen deren Rückwärtsgewandtheit er die Bank globalisieren, fürs Investmentbanking öffnen will, geht das in Ordnung. Undankbar ist es für Julia Koschitz als seine Ehefrau Traudl. Ein kluger, eigenständiger Kopf, trotzdem nur rehäugige Randfigur. Unbefriedigend wird es bei seinen wahren Feinden, den RAF-Terroristen. Sie haben sich bei der Palästinensischen Befreiungsfront im Libanon verschanzt, warten auf den richtigen Moment, um – unter den Augen von Stasi und US-Geheimdienst und womöglich von diesen gesteuert – „die Spitze der faschistischen Kapitalstruktur“ ins Visier nehmen. Schade, dass man die abgerissenen Gestalten, die sich untereinander nicht grün sind, nicht mehr als floskelhafte Sätze ausspucken lässt.
Miniserie und Doku in der ARD und in der Mediathek
Preise
Das Drehbuch von Thomas Wendrich wurde 2024 beim Serienfestival Series Mania in Lille als bestes Drehbuch ausgezeichnet. Die Produzentin Gabriela Sperl gewann 2023 für die Produktion den Bernd Burgemeister Fernsehpreis in München.
Doku
Warum geriet Alfred Herrhausen ins Fadenkreuz seiner Mörder? Dieser Frage geht die Begleitdoku zum Vierteiler von Ulrike Bremer nach, die am 3. Oktober um 23.35 Uhr zu sehen ist.
Termin
„Herrhausen – Der Herr des Geldes“. Vier Episoden ab 30. September in der ARD-Mediathek. Die ARD zeigt die Miniserie als Zweiteiler am 1. Oktober ab 20.15 Uhr sowie am 3. Oktober ab 21.45 Uhr.