Nach zwölf Jahren Bauzeit feiert Darmstadt die prachtvolle Wiedereröffnung des sanierten Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. Warum die enorm teure Renovierung von stolzen 33 Millionen Euro gut angelegtes Geld ist.
„Fünffingerturm“ wird er seines markanten Turmhelms wegen auch genannt, der Hochzeitsturm auf der Darmstädter Mathildenhöhe, weithin sichtbares Fanal des Zentrums der Künstlerkolonie Darmstadt. Das Ausstellungsgebäude zu seinen Füßen, eigentlich das Kunstmuseum der Stadt, war 1907/08 auf dem Dach eines Wasserspeichers errichtet worden, war im Krieg ausgebrannt und in den 1950er Jahren mit den damals bescheidenen Möglichkeiten wiederaufgebaut worden.
Schon seit Jahren entsprach es nicht mehr den an Museumsräume gestellten raumklimatischen Anforderungen. Es kam wie meist in solchem Fällen. 2012 erhielt das Frankfurter Architekturbüro Schneider und Schumacher den Auftrag für eine einfache energetische Sanierung. Zwölf Jahre später, am Ende der Baumaßnahmen im Sommer 2024, hatte man das gesamte Gebäude umfassend saniert und statt 6,7 Millionen Euro 33 Millionen ausgegeben.
33 statt 6,7 Millionen Euro kostete die Sanierung
Für die Kostensteigerungen und die lange Bauzeit gab es zwei Hauptgründe. Die raumklimatechnische Sanierung zog (für die Auftraggeber offenbar überraschend, für die Architekten weniger) eine Erneuerung der gesamten Haustechnik nach sich. Zum zweiten fiel in den Planungs- und Bauzeitraum das Anerkennungsverfahren der Künstlerkolonie als Unesco-Welterbe, was auf die denkmalpflegerische Konzeption und Ausführung nachhaltig Einfluss hatte.
Als die Architekten sich der Ausstellungshalle annahmen, war sie in vielerlei Hinsicht verschlissen und durch dürftige Um- und Anbauten entstellt. Als Hauptaufgaben waren zu meistern: die funktionale Neuorganisation der Räumlichkeiten neben den vier Ausstellungssälen, die Erneuerung der Außenhaut und der Oberlichtdächer sowie der Austausch der gesamten Haustechnik. Alles unter strenger Observanz durch die Unesco-Kommission und die hessische Denkmalpflege.
Im Sockelgeschoss an der Westseite, ehemals schmale Büros und die Schieberkammer des Wasserspeichers, konnte das elegante Café eingebaut werden, das in früheren Jahrzehnten durchs Haus vagabundierte und nirgends zufriedenstellend platziert war. Jetzt liegt es goldrichtig, mit Aussicht und Terrasse zum Vorplatz. Eindrucksvolle Relikte der historischen Wassertechnik geben dem Café das Gepräge.
Leider konnten die eindrucksvollen Gewölbe des Wasserspeichers aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Für die Wasserversorgung der Innenstadt werden die beiden sechsschiffigen Gewölbespeicher im Gebäudesockel nicht mehr benötigt. Einer fand jedoch als Wärmepufferspeicher Verwendung und wurde zum Teil des komplexen Energiesystems, das von Erdwärmesonden unterstützt wird.
Enge Abstimmung mit der Denkmalpflege und der Unesco
Die Ertüchtigung der Außenwände, ursprünglich Einstieg in das Projekt, begann mit umfangreichen Befunduntersuchungen der bauzeitlichen Gestaltungssysteme, Material- und Farbfassungen. Spätere Putzschichten wurden abgeschält, Zierelemente aus Beton freigelegt. Was zu erhalten war, welche Version zu rekonstruieren war und inwieweit neue gestalterische Ideen zum Zuge kommen durften, wurde im permanenten Abstimmungsmarathon mit der Denkmalpflege entschieden, wobei die Unesco jeweils eigene Vorstellungen entwickelte, die sie meist von höherer Warte aus durchzusetzen wusste.
Außen aufgebrachte Wärmedämmung kam aus Denkmalschutzgründen nicht infrage. Ein neuartiger Aerogel-Dämmputz, der mit nur vier Zentimeter Stärke und drei Millimeter Deckputz hinreichende Dämmwerte mitbringt, kommt im Aussehen dem historischen Putz nahe. Die vier Säle bekamen neue Lichtdecken mit Isolierglas und transluzenter Wärmedämmung sowie eine LED-Lichtanlage für eine Vielzahl an Beleuchtungsszenarien, erhielten aber weitgehend ihre historische Gestalt.
Die gestaltende Hand der Architekten wird im Café und beim neuen Verbindungsbau zum Hochzeitsturm sowie im eleganten Foyer sichtbar, wodurch dem Bau im Sinne moderner Denkmalpflege eine neuen Zeitschicht hinzufügt wird.
Das Institut Mathildenhöhe kann das Gebäude wieder mit der städtischen Kunstsammlung sowie mit Gastausstellungen bespielen. Die Künstlerkolonie Darmstadt ist mit dem erneuerten Ausstellungsgebäude und dem Titel „Welterbe“ wieder zur Attraktion mit internationaler Strahlkraft geworden, mit der sich die „Wissenschaftsstadt Darmstadt“ gerne schmückt.
Häuser in exquisitem Jugendstil
Welche immensen technischen Probleme bei der „welterbegerechten“ Sanierung zu meistern waren und wie viel Dutzend Diskussionsrunden es zwischen Stadtverwaltung, Denkmalamt, Unesco-Kommission und Architekten gegeben hat, sieht man dem weithin strahlenden Bau auf der Mathildenhöhe allerdings nicht an.
Es war Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, der in seiner Residenz Darmstadt ein avantgardistisches Kunstzentrum begründen wollte. 1899 holte er den Sezessionskünstler Joseph Maria Olbrich aus Wien, der auf der Mathildenhöhe ein Gesamtkunstwerk vom Städtebau bis zum Dessertteller schaffen und die „Künstlerkolonie Darmstadt“ leiten sollte.
Olbrich selbst erbaute einige der Künstlerhäuser und 1907/08 das zentrale Ateliergebäude in exquisitem Jugendstil sowie das Ausstellungsgebäude mit dem vormodernen Hochzeitsturm. Unter den Kolonisten war der Architekt Peter Behrens der später bekannteste, sein Haus gleichzeitig sein gefeiertes Erstlingswerk. Die Kolonie wurde zum Hotspot der kurzen Jugendstilepoche in Deutschland. Zaghafte Schritte Richtung Moderne fanden durch den frühen Tod Olbrichs 1908 ein abruptes Ende.
Das Ausstellungsgebäude wird nun mit einer Ausstellung zur Kunsttopografie Darmstadts eröffnet.