Egal ob Gastronomie, Industrie, Handwerk oder Gesundheitswesen: In etlichen Branchen fehlt es bereits jetzt im großen Stil an Fachkräften. Foto: dpa/Jens Büttner

Deutschland geht nicht die Arbeit aus, es fehlen Arbeitnehmer. Das hat dramatische Folgen. Ohne mehr Zuwanderung lässt sich die Lücke nicht füllen.

Das Lieblingsrestaurant hat neuerdings zwei Ruhetage pro Woche statt einen. Am Flughafen herrscht mal wieder das blanke Chaos. Der Klempner hat erst in drei Monaten einen Termin frei. Und die Zustände in Omas Pflegeheim sind zum Haareraufen: Willkommen in Deutschland, dem Land des Fachkräftemangels!

Putins Krieg, die Energiekrise und die Folgen der Coronapandemie mögen die hiesige Wirtschaft voll im Griff haben. Das ändert aber nichts daran, dass etliche Branchen händeringend Personal suchen. Hunderttausende freie Jobs können derzeit nicht besetzt werden, weil es keine qualifizierten Bewerber gibt. Allein im Handwerk fehlen nach Schätzungen des Zentralverbands ZDH mehr als 250 000 Fachkräfte. Auch in der Industrie, im Sozial- und Erziehungswesen, im Handel oder in der Verkehrsbranche würde etliche Arbeitgeber gern zusätzliches Personal einstellen. Wenn es dies denn gäbe.

Wirtschaftsweise: Mehr Erwerbsmigration ist „unverzichtbar“

Der Fachkräftemangel wird sich nach Einschätzung von Fachleuten in den kommenden Jahren noch einmal deutlich verschärfen. Durch die demografische Entwicklung schrumpft das Arbeitskräfteangebot.

Anfang des Monats, als die „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung ihr Jahresgutachten übergaben, widmeten sie dem Thema Zuwanderung gleich ein ganzes Kapitel. „Eine höhere Erwerbsmigration, insbesondere aus Nicht-EU-Staaten, ist für die Stabilisierung des Erwerbspersonenpotenzials unverzichtbar“, schrieben die Berater. Im Falle einer Schrumpfung hingegen „dürften Arbeits- und speziell Fachkräfteengpässe entstehen, die das zukünftige Wirtschaftswachstum, die Tragfähigkeit der Sozialversicherungssysteme sowie die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gefährden können“.

Mehr Weiterbildungen und Umschulung für heimische Arbeitnehmer

Die Wirtschaftsweisen verweisen auf Berechnungen, laut denen das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland derzeit bei mehr als 45 Millionen Personen liegt. Um das Niveau zu halten, brauche es bis 2060 eine Nettozuwanderung von 400 000 Personen pro Jahr. Ohne Migration und bei gleichbleibender Erwerbsquote würde das Potenzial hingegen im gleichen Zeitraum um rund ein Drittel sinken.

Neben mehr Zuwanderung brauche es angesichts der Transformation der Wirtschaft auch mehr Weiterbildungen und Umschulung für heimische Arbeitnehmer, betonen die Experten. Doch das allein wird nicht reichen, um den Rückgang des Arbeitskräfteangebots wettzumachen. In der Politik ist diese Erkenntnis längst angekommen. Nur fehlte bislang der Wille, die Hürden für Zuwanderer tatsächlich abzubauen.

Merkels Reform blieb ohne große Wirkung

Die Große Koalition unter Angela Merkel (CDU) etwa verabschiedete 2019 ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, das den Zuzug von qualifizierten Personen aus Nicht-EU-Ländern erleichtern sollte. In der Praxis scheitert das aber oft daran, dass die Anerkennung ausländischer Studien- und Berufsabschlüsse zu lange dauert und zu kompliziert ist. 2021 halfen die Vermittler der Bundesagentur für Arbeit nur 3200 Spezialisten dabei, nach Deutschland zu kommen.