Südwest-AOK weist auf gravierende Mängel an zumeist indischen Produktionsstandorten von Antibiotika hin. Pharmafirmen beklagen Preispolitik der Kassen.
Das Umweltbundesamt warnt eindringlich vor den Gefahren der immer weiteren Verbreitung antibiotikaresistenter Keime. Es bestehe die Gefahr, dass im Jahre 2050 die Zahl der durch diese Keime verursachten Todesfälle weltweit so hoch sein werde wie die Zahl der Krebstoten. Das sagte Malgorzata Debiak, die Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel beim Umweltbundesamt, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Südwest-AOK und des Rheinisch-Westfälischen Institutes für Wasserwirtschaft am Freitag in Berlin.
Weltweit erste Studie über Produktionsabwässer
Anlass war die Vorstellung von Studienergebnissen zur ökologischen Nachhaltigkeit bei der Herstellung von Antibiotika. Es handelt sich um die weltweit erste Studie mit detaillierten Einblicken in die globale Antibiotikaproduktion. Die Erkenntnisse wurden ermöglicht, da die Südwest-AOK, als bundesweite Verhandlungsführerin für die Arzneimittel-Rabattverträge der AOK-Gemeinschaft, seit 2020 Anreize für nachhaltiges Produzieren bietet: Antibiotikahersteller können demnach einen Bonus auf ihr Angebot erhalten, wenn sie sich freiwillig zur Einhaltung von Grenzwerten bei der Belastung des Produktionsabwassers mit Antibiotikarückständen verpflichten und regelmäßige Kontrollen ermöglichen. Der Hintergrund: Die Belastung der Produktionsabwässer sind durch den Eintrag in die Ökosysteme ein wesentlicher Grund für die Entstehung resistenter Keime.
Überschreitung des Grenzwerts von 11 000 Prozent
Mit der Überprüfung beauftragt wurde das Rheinisch-Westfälische Institut für Wasserforschung (IWW). Bisher wurden zehn Standorte in Indien und Europa unter die Lupe genommen. Die Resultate nannte IWW-Bereichsleiter Tim aus der Beek „zum Teil sehr besorgniserregend“. An 40 Prozent der Produktionsstätten seien Überschreitungen festgestellt worden. In einem indischen Werk gab es bei der Herstellung des Antibiotikums Ciprofloxacin eine Abwasserkonzentration des Wirkstoffs, die den vertraglich vereinbarten Schwellenwert um sage und schreibe 11 000 Prozent überschritten habe. „Ich bin seit vielen Jahren unterwegs, aber so etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte aus der Beek. Auch bei anderen Überprüfungen gab es Überschreitungen von mehreren Tausend Prozent.
Angesicht solcher teils alarmierenden Resultate fordert der Chef der Südwest-AOK, Johannes Bauernfeind, die Hilfe der Politik. „Der Hebel, den wir als Kasse haben, ist viel zu klein. Wir brauchen Maßnahmen auf EU-Ebene“, sagte der Kassenchef. Die AOK fordert die Aufnahme verbindlicher Umweltkriterien in das EU-Arzneimittelrecht. Diese Kriterien sollen Bedingung für die Zulassung und Produktion insbesondere bei Antibiotika werden. Zudem brauche es einheitliche Kontrollsysteme, um die Einhaltung zu prüfen, und es soll die Möglichkeit geschaffen werden, auch den Produktionsstandort zu einem Kriterium des Zuschlags zu machen.
Die Pharmaindustrie hat auf die Ergebnisse der Studie reagiert. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), sagte unserer Redaktion, die Krankenkassen weinten „Krokodilstränen“, da sie durch extrem niedrige Preise dafür gesorgt hätten, „dass außer Kundl in Südtirol kein integrierter Produktionsstandort für Antibiotika in Europa mehr existiert“. Es seien diese niedrigen Erstattungspreise gewesen, „die ganz wesentlich für die Verlagerung der Produktion aus Europa nach Asien waren“. Kroth weist darauf hin, dass die Festpreise pro Packung bei Antibiotika heute zwischen 35 und rund 80 Cent lägen, wovon dann noch Rabatte abzuziehen seien.
AOK-Chef Bauernfeind weist die Kritik zurück. Deutschland hätte bei einem Anteil von vier Prozent an der globalen Arzneimittelversorgung gar nicht die Marktmacht, um solche Prozesse zu beeinflussen.