Die Polizei rät: Den Hörer auflegen, wenn man sich unter Druck gesetzt fühlt. Bei Zweifeln den Notruf unter 110 wählen. Foto: Eibner-Pressefoto

Vermeintliche Prominente, Polizisten oder Familienmitglieder – Anrufbetrüger haben viele perfide Maschen. In Sindelfingen verlor eine Seniorin jüngst sogar einen sechsstelligen Betrag.

Die Szenen sind hochemotional: Tochter ruft schluchzend bei der betagten Mutter an und bittet wegen eines Verkehrsunfalls um ein paar Tausend Euro. Damit könne sie der Untersuchungshaft entgehen. Oder: Polizisten rufen Senioren an, um mit ihnen eine Geldübergabe zu vereinbaren. Mit der Übergabe wollen die Beamten verhindern, dass die Täter in die Wohnung der älteren Menschen einbrechen und sie bestehlen. Am Ende dieser Geschichten, die allesamt Methoden von Anrufbetrügern sind, stehen Senioren, die ihr Vermögen in die Hände skrupelloser Verbrecher geben.

Auch im Kreis Böblingen geschehen regelmäßig Fälle dieser Art. Besonders verheerend liest sich der Fall einer 82 Jahre alten Frau aus Sindelfingen, die am 24. Juni Opfer eines Schockanrufs wurde. Ein angeblicher Polizeibeamter und ein vermeintlicher Richter machten der Seniorin am Telefon glaubhaft, ihre Tochter sei für einen Unfall mit Todesfolge verantwortlich. Nun sei eine Kaution erforderlich. Da die weinende Frau am anderen Ende der Leitung nach ihrer Tochter klang, willigte die 82-Jährige ein und händigte einem vermeintlichen Gerichtsmitarbeiter Bargeld und Edelmetall im Wert eines sechsstelligen Betrages aus. Aus Gründen des Datenschutzes teilt die Polizei eine genauere Zahl nicht mit. Sie soll aber im unteren sechsstelligen Bereich liegen.

Die Chance der Dame, wieder in den Besitz ihres Vermögens zu kommen, schätzt die Polizei in Ludwigsburg als äußerst gering ein: „In der Regel besteht kaum eine Chance, die übergebenen Vermögenswerte wiederzuerlangen. Die Ermittlungen in solchen Fällen sind zumeist äußerst komplex und aufwendig, da die Täterinnen und Täter ihre Spuren von vornherein verschleiern.“

Verbrecher wüteten im gesamten Landkreis

Weitere Vorfälle dieser Art, in denen ältere Menschen Tausende von Euro verloren, spielten sich in den vergangenen zwei Monaten in Ehningen, Sindelfingen, Schönaich ab. Nur einer 75-jährigen Holzgerlingerin gelang es, den Betrug kurz vor Abschluss noch zu stoppen. Sie weigerte sich, den Betrag von 55 000 Euro vor der eigenen Haustür zu übergeben. Sie wollte die Geldübergabe nur am Polizeiposten Holzgerlingen durchführen. Der unbekannte Täter gab auf.

Skurriler, aber nicht weniger tragisch gestalteten sich weitere Fälle aus 2025. Im August wurde ein Rentner aus Nordrhein-Westfalen dazu gebracht, 27 000 Euro in eine angebliche Geldanlage zu investieren. Der Mann bemerkte den Betrug – bei dem die Täter den Namen „Mark Kleemann“ und das echte Foto des Sindelfinger Oberbürgermeisters Markus Kleemann nutzten – zu spät. In Heilbronn verlor ein Paar wegen einer gefälschten Werbeanzeige mit TV-Moderator Günther Jauch 400 000 Euro. Im Kreis Ravensburg fiel eine Frau auf einen falschen Elon Musk herein und verlor 12 000 Euro.

Im Sicherheitsbericht 2024 spricht das Polizeipräsidium Ludwigsburg beim „falschen Polizeibeamten“ für den Kreis Böblingen von zehn vollendeten Fällen. Zusammen mit den elf aus dem Kreis Ludwigsburg gemeldeten Fällen summiert sich der bekannte Schaden auf rund 580 000 Euro. Die Male, in denen die „falschen Polizisten“ aus dem Ausland operierten, nahmen seit 2023 von 173 auf 282 Fälle zu. 230 blieben Versuche. Der Schaden beträgt rund 491 000 Euro. Bei Enkeltrick und Schockanrufen stiegen die Fälle kreisweit von 16 auf 22. Mit den 15 Fällen aus dem Nachbarkreis Ludwigsburg beläuft sich der Schaden auf rund 688 000 Euro. Präsidiumsweit war ein Anstieg von aus dem Ausland orchestrierten Taten von 348 auf 397 zu verzeichnen, wovon 387 Versuche waren. Durch die zehn vollendeten Taten entstand ein Schaden von 153 000 Euro.

Wie gehen Polizei und Staatsanwaltschaft wirklich vor?

Weil die Serie der Anrufbetrüger nicht abreißt, stellt die Polizei erneut klar: „Wir werden niemals telefonisch zu Zahlungen auffordern, weder als angebliche Kaution noch zur Sicherung gegen Einbruch oder Diebstahl.“ Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärte bereits vor zwei Jahren gegenüber unserer Zeitung: „Alle Kommunikation erfolgt in der Regel schriftlich und nur ausnahmsweise telefonisch.“ Sollte gegen ein erwachsenes Kind ermittelt werden, würden Eltern ohnehin keine Nachricht durch die Justiz erhalten. „Grundsätzlich erfolgt aus Datenschutzgründen keine Information über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Angehörige erlangen vom Beschuldigten selbst Kenntnis“, sagte der damalige Erste Staatsanwalt.

Kautionen würden in Deutschland nur nach schriftlicher Aufforderung per Banküberweisung oder Einzahlstelle im Gericht selbst abgewickelt. Eine Übergabe in bar an Mitarbeiter vor Gerichtsgebäuden sei ausgeschlossen, erklärte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft damals weiter.

Telefonbetrug blüht

Funktionsweise
Die Betrüger setzen bewusst auf einen Schockmoment und setzen ihre Opfer zeitlich unter Druck, um sie zu unüberlegten Entscheidungen zu drängen. Dabei werden Notsituationen vorgetäuscht. Der psychische Druck, einem vermeintlichen Familienmitglied zu helfen, ist enorm.

Tipps
Die Polizei rät: Den Hörer auflegen, wenn man sich unter Druck gesetzt fühlt; Angehörige anrufen unter den bekannten Nummern; am Telefon nie über Geld und persönliche Verhältnisse sprechen; niemals Geld oder Wertsachen an Unbekannte geben. Bei Zweifeln den Notruf der Polizei unter 110 wählen. Mehr Infos zu den Maschen auf https://www.polizei-beratung.de/