Jens Spahn bei Anne Will: „Ich kann aus Berlin nicht kontrollieren.“ Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gerät bei Anne Will in der ARD an zwei Fronten unter Druck: wegen der Schlamperei bei den Schnelltests und wegen seiner Impfpläne für Kinder und Jugendliche.

Stuttgart - In FDP-Chef Christian Lindner hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Sonntagabend bei Anne Will in der ARD einen Sekundanten gehabt, aber im Rededuell mit einer Journalistin und einem Grünen-Politiker zu den Themen Schnelltests und Kinderimpfen unterlag er trotzdem. Zunächst einmal ging es um möglichen Betrug bei Schnelltests in privaten Testzentren und Anne Will fragte, wie es denn sein könne, dass binnen zwei Monaten 659 Millionen Euro über die Kassenärztlichen Vereinigungen abgerechnet worden seien von Testzentren und das werde gar nicht richtig überprüft, weil eine Übermittelung von personenbezogenen Daten nicht ermöglicht worden sei.

Er könne nicht kontrollieren, sagt der Gesundheitsminister

„Ich kann nicht aus Berlin die Testzentren kontrollieren“, entgegnete Jens Spahn. Er will das Thema Abrechnungsbetrug und bessere Kontrollen an diesem Montag mit den Gesundheitsministern der Länder diskutieren. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt, das ist Betrug und kriminell“, meinte Spahn über einen Fall aus Köln, wo statt 70 wirklich erfolgten Tests 1000 Proben abgerechnet worden seien. Im übrigen seien die Gesundheitsämter zuständig für die Kontrolle von Räumlichkeiten und Qualität. Spahn wies daraufhin, dass es natürlich vor zwei Monaten auch darum gegangen sein, rasch überall Testzentren aufzubauen und die Struktur mit 15.000 Testzentren bundesweit bis ins letzte Dorf im Münsterland sei ja auch gut und gelungen – und binnen sechs bis acht Wochen hätte sie 40 Millionen Tests ermöglicht.

Da sprang dann der Liberale Lindner dem Minister auch noch bei und sagte, dass die FDP in diesem Falle in ihrer Kritik an der Bundesregierung zurückhaltender sei als die SPD – „die der Koalition nicht mehr anzugehören scheint“ – denn es sei jede Regelung missbrauchsanfällig und man könne nicht vom Staat „schnelles und unternehmerisches Handeln“ verlangen wie beim raschen Aufbau der Teststruktur und dann kritisieren, dass nicht alles perfekt laufe.

25.000 Tests – und keiner ist positiv?

Das ging dann den anderen Studiogästen über die Hutschnur. „Das ist keine Lappalie“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete und Arzt Janosch Dahmen über einen Fall, in dem von 25:000 Schnelltests in drei Testzentren kein einziger positiv gewesen sei. Dahmen verlangte nicht nur eine finanzielle sondern auch eine medizinische Qualitätskontrolle, denn im besagten Fall seien es laut Inzidenzen-Statistik sicher 700 bis 800 positive Proben, die da durchgerutscht seien – mit allen Folgen für das Infektionsgeschehen.

Ähnlich äußerte sich die Journalistin Christina Berndt von der „Süddeutschen Zeitung“: „Da stellt einer einen Koffer voller Geld hin“, so Berndt, ohne dass effektiv kontrolliert werde und ohne dass jemand die medizinische Verantwortung übernehme. Auf Hinweise von Spahn, dass die offensichtliche Betrügerei von Köln ja aufgeflogen sei, bemerkte Berndt, „dass dies ohne die journalistische Arbeit meiner Kollegen gar nicht aufgefallen“ wäre. Erst nach Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ wurde die Staatsanwaltschaft aktiv.

Ein Windhundrennen nach Impfterminen

Sehr bestimmt und überzeugend traten Dahmen und Berndt auch beim Thema Aufhebung der Impfpriorisierung und Impfen von Kindern und Jugendlichen auf. Die Aufhebung der Priorisierung vom 7. Juni an halten sie für einen Fehler, sie habe ein Windhundrennen nach Impfterminen ausgelöst und wer „jung“ und „schneller am Computer“ sei, der setze sich da durch. „Unsere Hausärzte werden jetzt noch mehr überrannt, dabei haben wir noch sehr viele in der Prioritätengruppe 3, die nicht geimpft sind“, sagte Berndt.

Es gebe noch sechs Millionen 60- bis 69-Jährige sowie zwölf Millionen Menschen mit Vorerkrankungen, die nicht geimpft seien. Die brauchten die Impfung dringend, und erst wenn diese Gruppen sie hätten, dann hätte man die Priorisierung aufheben sollen. Spahn aber vertrat den Standpunkt, dass es einen Punkt geben müsse, wo die Priorisierung falle und den sieht er erreicht. Von Ostern bis Pfingsten sei die Quote der Erstgeimpften von zwölf auf 40 Prozent gestiegen, schon jetzt seien 80 Prozent der über 60-Jährigen geimpft und bis Ende August werde der als zuverlässig bei den Lieferzusagen geltende Hersteller Biontech 50 Millionen Impfdosen liefern. Schon Mitte Juli, so rechnet Spahn, werde man zwei Drittel der Impfbereiten und Impfwilligen in Deutschland ein Impfangebot gemacht haben.

Das Corona-Risiko für Kinder ist äußerst gering

Dass Spahn bereit war, einen Teil der Biontech-Lieferungen – rund fünf Millionen Impfdosen – allein für Kinder und Jugendliche über zwölf Jahre zu reservieren, stieß ebenfalls auf Missfallen in der Runde. Zum einen liegt darüber noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission in Deutschland vor, die eine Abwägung von Nutzen und Risiken der Kinderimpfung beinhaltet, wenngleich die Europäische Arzneimittelagentur EMA die Zulassung von Biontech für über 12-Jährige schon erteilt hat und die Kinderimpfung theoretisch schon möglich ist.

Zum anderen aber sind die Corona-Risiken offenbar enorm gespreizt. „Ich bin 39 Jahre alt und habe ein 50-fach höheres Risiko an Corona zu sterben als mein Sohn“, sagte der Grüne Dahmen. „Mein Vater hat ein 1300 höheres Risiko an Corona zu sterben als sein Enkel und bei seinem Urgroßvater ist es um das 8007-fache höher.“ Der Glaube, man müsse jetzt Kindern in der Pandemie „etwas Gutes“ tun durch das Impfen, der sei falsch, denn ihre Risiko an Corona zu sterben sei äußerst gering. „Es ist doch sinnvoller, jetzt Eltern, Verwandte, Hausmeister an Schulen und andere Erwachsene zu impfen als die 12-bis 18-Jährigen“, meinte Dahmen.