Durch die Corona-Pandemie scheinen Depressionen zuzunehmen. Foto: /Klaus-Dietmar Gabbert

Während der Corona-Pandemie haben depressive Symptome und psychische Störungen zugenommen. Acht Gemeindepsychiatrische Zentren in Stuttgart kümmern sich um psychisch kranke Menschen.

Stuttgart - In Stuttgart gibt es acht Gemeindepsychiatrische Zentren (GPZ). Sie unterstützen, betreuen und begleiten wohnortnah psychisch kranke Erwachsene mit Fachdiensten und offenen ambulanten Angeboten. Träger dieser Zentren sind der Caritasverband für Stuttgart, die Evangelische Gesellschaft (eva) und das Klinikum Stuttgart. In den Zentren gibt es Beratungsangebote, offene Freizeitangebote, die Möglichkeit stundenweise zu arbeiten und auch Wohnangebote. Die Menschen, die hierher kommen, erhalten professionelle Unterstützung und haben einen Ort, an dem sie sich mit anderen treffen und austauschen können. Es sind Orte mit offenen Türen für die Menschen.

Telefon wichtigstes Arbeitsmittel

Bis Corona kam und die offenen Türen der Zentren eigentlich zugehen sollten. Denn das Credo der Mitarbeitenden in den Gemeindepsychiatrischen Zentren: „Wir sind für Sie da“, wurde mit viel Engagement auch in Zeiten desLockdowns aufrechterhalten. „Wir sind für Sie da in neuer Form“, fasst Reiner Neuschl, Fachbereichsleiter Soziale Dienste, Koordinator Gemeindepsychiatrische Zentren am Klinikum in Stuttgart (www.klinikum-stuttgart.de), die Arbeit der Zentren in den vergangenen Wochen zusammen. „Die Hauptaufgabe war und ist, an unseren Klientinnen und Klienten dran zu bleiben.“ Das Telefon wurde für ihn und die Kolleginnen und Kollegen zum wichtigsten Arbeitsmittel.

Iris Maier-Strecker, Abteilungsleiterin bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (www.eva-stuttgart.de) der Dienste für seelische Gesundheit, und auch Klaus Obert, Bereichsleiter für Sucht- und Sozialpsychiatrie beim Caritasverband für Stuttgart (www.caritas-stuttgart.de) berichten davon, wie alles dafür getan wurde, den Kontakt zu ihren Klienten und Klientinnen zu halten. „Wir haben alle durchtelefoniert“, erzählt Iris Maier-Strecker. Und wenn Menschen mehr benötigt haben, als ein Gespräch am Telefon, haben die sozialpsychiatrischen und gerontopsychiatrischen Dienste auch Hausbesuche gemacht – „natürlich unter Beachtung der Hygienevorschriften“.

Monatsprogramme umfunktioniert

Monatsprogramme in den Tagesstätten der Gemeindepsychiatrischen Zentren wurden umfunktioniert und zu kleinen Sonderausgaben, in denen neben Infos zu Corona und den damit verbundenen Regeln und Hygienevorschriften auch Kochrezepte oder Tipps für ein Bewegungsprogramm zu Hause zu lesen waren. „Wir alle haben tolle KollegInnen“, sagen die VertreterInnen der Gemeindepsychiatrischen Zentren, die mit viel Energie die schwierige Situation angegangen sind, um die psychisch kranken Menschen weiterhin in ihrem Sozialraum zu begleiten und Hilfen zur Verfügung zu stellen. Dazu kam der schon zuvor gewachsene „gute Zusammenhalt zwischen den Zentren“. Was die Gemeindepsychiatrischen Zentren und ihre MitarbeiterInnen auch vor Corona schon auszeichnete, hat sich in der Krisebewährt: „Dass wir schon immer sehr flexibel arbeiten und immer der individuelle Bedarf unserer Klienten und Klientinnen im Vordergrund steht.“

Kritisch sehen die Fachleute die lange Dauer der Einschränkungen. So haben die Kinder psychisch kranker Eltern weniger Kontakte nach außen und damit auch weniger Menschen um sich herum, die hinschauen und, wenn nötig, in schwierigen Situationen auch unterstützen können. Gelang es meist noch sehr gut, den Kontakt zu den bekannten KlientInnen zu halten, so haben doch alle Zentren erfahren, dass zu Anfang der Krise weniger Menschen den Kontakt neu gesucht haben. Dabei sind gerade in Zeiten von Corona enge und verlässliche Beziehungen wichtiger denn je. Klaus Obert beobachtet bei vielen Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie Corona deren Lebenssituation beeinflusst: „Menschen, die sich schon immer zurückgezogen haben, tun das jetzt eher noch mehr. Depressionen scheinen zuzunehmen, möglicherweise auch das Suizid-Risiko.“

Einschneidende Veränderungen

Professor Martin Bürgy, Ärztlicher Direktor und Leiter des Zentrums für Seelische Gesundheitam Klinikum Stuttgart teilt diese Befürchtungen größtenteils: „Depressive Syndrome nehmen zu, ebenso die Akuität und Intensität psychischer Störungen. Eine Zunahme der Suizidalität ist bisher nicht gesichert.“ Die veränderten sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen, die einengenden Hygienemaßnahmen oder die Sorge um den Arbeitsplatz belasten Menschen in Krisensituationen doppelt. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, hat Angst um seine Existenz: „Eine Angst, die sich bei Depressiven zu Verarmungsängsten bis hin zum Verarmungswahn steigern kann.“

„Das waren die einschneidendsten Veränderungen, die ich in meiner Arbeit jemals erlebt habe“, sagt Bürgy beim Blick zurück auf die vergangenen Monate. Der Fokus, so Bürgy, habe sich „von der Psychiatrie auf die Hygiene verschoben.“ Doch die psychiatrische Versorgung der Menschen in Stuttgart habe sich auf die veränderten Rahmen- und Arbeitsbedingungen, die Corona vorgibt, gut eingestellt. Die Versorgung der Menschen in der Klinik wie auch in den Gemeindepsychiatrischen Zentren in Stuttgart konnte aufrecht erhalten werden – wenn auch unter deutlich veränderten Bedingungen. Wie es den psychisch kranken Menschen in unserer Gesellschaft geht, sage viel über den Zustand der Gesellschaft aus: „Sie sind wie ein Wasserstandsmelder“, meint Bürgy. Wichtig für ihn, wie auch für die Kollegen ist, nun sehr wach und sensibel zu sein: „Die Corona-Krise spitzt die Symptome zu“, sagt er. „Wir müssen jetzt besonders vorsichtig und wachsam mit unseren Patienten sein“.

Seit 2. Juni können die Tagesstätten in den Gemeindepsychiatrischen Zentren unter geltenden Hygieneregeln Schritt für Schritt wieder geöffnet werden.