Muss der Trend zur Frührente gestoppt werden? Foto: imago/Panthermedia/DOC-Photo

Kanzler Olaf Scholz hat deutlich gemacht: Er wünscht sich, dass die Menschen nicht so lange vor dem eigentlichen Renteneintrittsalter in den Ruhestand gehen. Was bedeutet das? Und: Wo liegt eigentlich das Problem? Das Wichtigste in Fragen und Antworten.

Viele Menschen gehen in den Ruhestand, bevor sie die vorgesehene Altersgrenze für die Rente erreicht haben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will, dass sich an diesem Trend etwas ändert. Was folgt aus den Worten des Kanzlers? Warum gehen so viele Menschen in Deutschland vorzeitig in den Ruhestand? Das Wichtigste in Fragen und Antworten.

Was hat der Kanzler gesagt – und was nicht?

Es sind im Wesentlichen zwei Sätze, mit denen der Kanzler eine Debatte angestoßen hat. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“, hat er der Funke-Mediengruppe und der französischen Zeitung Ouest-France gesagt. „Das fällt heute vielen Menschen schwer.“ In der Union interpretieren dies einige als den Weg hin zur Abwicklung des einstigen SPD-Prestigeprojekts Rente mit 63. Das hat Scholz aber gar nicht gesagt. SPD-Chefin Saskia Esken hat bereits klargestellt: An der Rente mit 63 soll nicht gerüttelt werden.

Warum wird jetzt trotzdem über die Rente mit 63 diskutiert?

Die Möglichkeit der Rente mit 63 ist einer der Gründe, warum Menschen in Deutschland häufiger früh in Rente gehen. Darauf hat gerade das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung aufmerksam gemacht. Wer 45 Versicherungsjahre aufweisen kann, hat seit 2014 die Chance, ohne Abschläge in Rente zu gehen. Diese Regelung hat die SPD nach der Bundestagswahl 2013 in den Verhandlungen über die große Koalition durchgesetzt. Union und SPD haben sie dann gemeinsam Gesetz werden lassen.

Wie viele Menschen nutzen die Regelung?

Im vergangenen Jahr sind 270 000 Menschen mit Hilfe der Rente ab 63 ohne Abschläge vorzeitig in Rente gegangen. Es geht also um mehr als ein Viertel der neuen Renten. Und es sind mehr Fälle, als der Gesetzgeber bei Einführung der Rente mit 63 erwartet hat. Dazu kommt: Es gehen auch mehr Menschen vorzeitig in den Ruhestand, obwohl sie Abzüge bei der Rente in Kauf nehmen müssen.

Was sagen Arbeitgeber und Gewerkschaften?

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat gerade erst klargemacht, wie er seinen Job sieht. „Unsere Aufgabe ist, immer wieder zu sagen: Achtung Leute, uns fliegt unser Sozialstaat um die Ohren, wenn wir so weitermachen“, sagte er der „Rheinischen Post“. Ein Sprecher von Gesamtmetall betonte, sein Verband fordere seit längerem, die Rente mit 63 abzuschaffen. Verdi-Chef Frank Werneke sagte unserer Zeitung hingegen, viele Menschen gingen früher in Rente und nähmen dafür hohe Einbußen in Kauf, weil sie darin den einzigen Ausweg aus zu hoher Arbeitsbelastung sähen, die sie nicht bis zum Rentenalter stemmen könnten. „Es darf keine Verschlechterungen bei der Rente geben – Finger weg von Regelungen, die einen früheren Renteneintritt ermöglichen“, warnte Werneke. „Sie müssen erhalten bleiben.“

Weshalb sehen viele im frühen Weg in die Rente ein Problem?

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens hat Deutschland bereits jetzt mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Es fehlen IT-Experten, aber auch Handwerker und viele andere. Ökonomisch muss Deutschland also ein Interesse daran haben, Menschen möglichst bis zum vorgesehenen Renteneintrittsalter im Arbeitsmarkt zu halten. Zweitens wird die Finanzierung der gesetzlichen Rente in Zeiten des demografischen Wandels ohnehin nicht einfacher.

Was bedeutet das genau?

Manch einem mag es unpassend erscheinen – aber man versteht die Grundkonstellation des deutschen Rentensystems am besten, wenn man es mit einem Restaurant vergleicht, in dem ungewöhnliche Regeln herrschen: Niemand zahlt seine eigene Rechnung. Stattdessen muss die Rechnung der gerade einkehrenden Gäste von denen bezahlt werden, die erst nach ihnen ins Restaurant kommen. Deren Rechnung wird dafür wieder von denjenigen bezahlt, die nach ihnen kommen. Und immer so weiter. Das nennt man Generationenvertrag. Durch den demografischen Wandel ist es aber so, dass es eine immer größere Gruppe von Ruheständlern gibt. Das gilt erst recht, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation in Rente gehen. Das stellt das deutsche Rentensystem vor eine echte Herausforderung – bis hin zu der Frage, ob ab einem bestimmten Punkt das Renteneintrittsalter noch einmal angehoben werden muss.

Geht die Bundesregierung diese Herausforderung mit einer Reform an?

Die Änderungen, die es in dieser Legislaturperiode bei der Rente geben soll, sind überschaubar. Die Sozialdemokraten hatten sich hier bei den Koalitionsverhandlungen insofern durchgesetzt, als vor allem ein Signal an die Rentner rausging: Notfalls wird die Rente mit mehr Steuermitteln stabilisiert. Vereinbart wurde auf Drängen der FDP auch eine Aktienrente – der Idee nach soll sie dazu beitragen, die Probleme abzumildern, die der demografische Wandel dem Rentensystem beschert. Für sie sind im Haushalt 2023 zehn Milliarden Euro eingestellt – mit Blick auf die Rentenversicherung eine Summe, die nicht viel ändert.