Der Vorstand des Ortsvereins Marbach-Bottwartal der Arbeiterwohlfahrt (AWO) plant den Verkauf einer Eigentumswohnung, um die Haftkosten für Sedia Kijera aufzubringen. Der Gambier soll sie dann abstottern – so das Land ihn einreisen lässt.
Es wäre ein bislang wohl einzigartiger und ungewöhnlicher Schritt. Doch was ist schon gewöhnlich im Fall des Kirchheimer Altenpflegehelfers, der freiwillig nach Gambia ausgereist ist, um einer Abschiebung zu entgehen? Jetzt will der vierköpfige Vorstand des Ortsvereins Marbach-Bottwartal der AWO einspringen und dem Land die 33 000 Euro zahlen, die die Inhaftierung von Sedia Kijera im Abschiebegefängnis in Pforzheim gekostet hat.
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, in dem der Verein eine seiner drei Eigentumswohnungen verkauft. Oder, indem er einen Kredit aufnimmt. Beide Optionen hat der Vorsitzende der AWO Marbach-Bottwartal, Hans-Jürgen Stritter, bei der Hausbank der AWO, der Volksbank Backnang prüfen lassen – und grünes Licht bekommen. Für beide Optionen hat er zudem die Rückendeckung seiner drei Vorstandsmitglieder.
Fehlt noch die Rückendeckung der rund 60 Mitglieder. Die wollen sich die Vier in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung holen. „Natürlich mit Verpflichtung von Sedia Kijera, die Schulden abzutragen, wenn er wieder hier arbeitet“, betont Stritter. An der Bereitschaft des Gambiers wird es nicht scheitern, versichert seine Chefin, die Leiterin des AWO-Pflegeheims in Kirchheim, Daniela Lehmann.
Fall Kijera: AWO-Chef findet Signale des Ministeriums „unfassbar“
Warum setzt sich der Ortsverein Marbach-Bottwartal für eine Pflegekraft in einem Heim in Kirchheim am Neckar ein? „Es ist uns ein moralisches Anliegen, ein Zeichen zu setzen“, erklärt Stritter, der selbst viele Jahre ehrenamtlich in einem Pflegeheim gearbeitet hat. „Schon vor 15 Jahren konnte ich die miserable Personalsituation erleben.“ Die Signale aus dem Justizministerium seien „unfassbar und politisch inakzeptabel“, moniert der 75-Jährige.
Menschen, die in Pflegeheimen leben, seien an ihrer letzten Lebensstation angekommen, betont er. Der Notstand in der Pflege werde immer dramatischer. „Und wenn es dann jemanden gibt, der wie Sedia Kijera mit Liebe, Engagement und Empathie in der Pflege arbeitet und sich um alte Menschen kümmert, dann müssen wir ihn wieder an seinen Arbeitsplatz bringen.“
Heimleiterin ist für das Engagement im Fall Kijera dankbar
Der Gambier hat im Pflegeheim der AWO in Kirchheim genau das getan, bestätigt Lehmann: „Ich habe ihn drei Jahre lang bei der Arbeit und in der Ausbildung erlebt, und es gab keinen einzigen Tag, an dem er nicht mit Freude gearbeitet hat.“
Für das Engagement des Ortsvereins ist die Heimleiterin dankbar. „Das bedeutet aber nicht, dass wir bagatellisieren oder die AWO künftig Straftäter unterstützt“, betont sie. „Es geht hier um einen Einzelfall, den wir betrachten. Sedia Kijera hat seine Strafe abgeleistet, er hat sich bewiesen und ist resozialisiert.“ Kijera war 2020 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Drogen wurden bei ihm jedoch nie gefunden.
Für den Vorstand des AWO-Ortsvereins Marbach-Bottwartal hat der Gambier eine zweite Chance verdient. Der AWO-Kreisverband Ludwigsburg unterstützt die Bemühungen des Ortsvereins. „Auch wir halten – wie die AWO-Württemberg und das Landratsamt Ludwigsburg – die Abschiebepraxis des Regierungspräsidiums Stuttgart für falsch und wünschen uns eine schnelle und unbürokratische Rückkehr des engagierten und in Kirchheim beliebten Altenpflegers“, erklärt der Kreisverbandsvorsitzende Wolfgang Stehmer.
Nachdem die Ausländerbehörde die Resozialisierung und Integration von Kijera positiv beurteilt habe, sei auch kein Grund mehr vorhanden, ein Einreisevisum zu verweigern. Dass der Ortsverein bereit sei, aus eigenen Mitteln für die Staatskosten aufzukommen, sei eine souveräne Entscheidung des Vorstands, der sich die Entscheidung nicht leicht gemacht habe. „Sie verdient unseren Respekt.“ Der hohe finanzielle Einsatz sei jedoch nur gerechtfertigt, betont Stehmer, wenn alle beteiligten staatlichen Stellen garantieren, dass Kijera nach Bezahlung der Abschiebekosten auch an seinen Arbeitsplatz in Kirchheim zurückkehren und dauerhaft seinen Beruf ausüben dürfe.
Kurzer Rückblick auf die Geschichte von Sedia Kijera
- Im Jahr 2015 kam Sedia Kijera aus Gambia nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er blieb – duldungsweise.
- 2019 erhielt er wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Freiheitsstrafe auf Bewährung.
- Ab Februar 2021 arbeitete Kijera zunächst als ungelernter Pflegehelfer im Awo-Pflegeheim in Kirchheim, wo er auch seine Sozialstunden ableistete. Das Heim bot ihm die Ausbildung zum Pflegehelfer an, die er erfolgreich abschloss.
- Anfang Dezember 2023 wurde er aus der Frühschicht abgeholt, um abgeschoben zu werden. Um die Chance auf Wiedereinreise mit einem Arbeitsvisum zu haben, reiste der Flüchtling im Februar freiwillig aus.
- Aus Sicht der Ausländerbehörde des Landkreises Ludwigsburg ist Kijera resozialisiert, gut integriert und leistet wichtige Arbeit. Ein Ausweisungsinteresse wegen der begangenen Straftat sieht die Behörde, anders als das Justizministerium, nicht.
Protest der Bürger für Sedia Kijera
Bewegung
Unterstützer – auch aus dem Umfeld der AWO – planen eine Briefaktion. „Wir werden alle, jeder für sich, Schreiben an das Ministerium schicken, und uns darin für die Rückkehr von Sedia Kijera einsetzen, kündigt Hans-Jürgen Stritter an.
Unterstützung
Auch der SPD-Ortsverein Großbottwar will sich aktiv für die Rückkehr des Gambiers einsetzen. Der Vorsitzende des Ortsvereins Oliver Hartstang ist auch Mitglied des Vorstands der AWO Marbach-Bottwartal.