Martin Klumpp vor dem Kinder- und Jugendhospiz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Martin Klumpp, der Initiator des Hospiz Stuttgart, der Vesperkirche und des Hospitalhofs feiert seinen 80. Geburtstag - Bischof July nennt den Alt-Prälaten und früheren Stadtdekan einen Menschen, „der eindrucksvolle Zeichen und Signale in seiner Amtszeit gesetzt hat“.

Stuttgart - Große runde Jubiläen zwingen einen unwillkürlich zum Innehalten. Zum Rückblicken. Was habe ich anderen Gutes getan? Was habe ich erreicht? Wer und was bin ich? Martin Klumpp muss sich diese Fragen in diesen Tagen nicht selbst stellen. Auch weil er täglich weiterwirkt. Aber auch weil ihn viele in Zusammenhang mit seinem 80. Geburtstag an diesem Montag darauf ansprechen. Wer und was ist Martin Klumpp? Seine Antwort: „Ich sehe mich schon als Seelsorger.“ Es ist einer der wenigen Momente, in denen Klumpps Aussagen mehr Spielraum zulassen, nicht ganz so eindeutig und klar sind. Allerdings darf man annehmen: Jede Silbe sitzt genau dort wo sie sitzen soll und muss. Er will nicht allein auf den Seelsorger reduziert sein. Seine Lebensleistung zeigt genau das: Der Alt-Prälat und frühere Stuttgarter Stadtdekan ist ein Beweger im Namen Jesu Christi und dessen Botschaft. Er bewegt Menschen und setzt Steine aneinander, sodass Neues entsteht. Auch bei der Renovierung der Stiftskirche, die seinerzeit „viel Kraft und Geld gekostet hat“.

Ohne Martin Klumpp gäbe es kein Hospiz in der Stadt. Ohne Martin Klumpp hätte die Stadtkirche heute vermutlich keinen Hospitalhof. Und ohne Martin Klumpp gäbe es vielleicht keine Vesperkirche. Einrichtungen, ohne die ein Stuttgarter Kirchenkreis heute undenkbar wäre, haben ihr Dasein einer der wichtigsten Fähigkeiten des Jubilars zu verdanken: strukturelles Denken. „Ich bin jemand, der seinen Schwerpunkt darin setzt.“ Als Stadtdekan habe er sich gefragt: „Welche Strukturen braucht Stadtkirche? Und wo müssen sie sichtbar werden?“ Schnell war klar: „Dort, wo Menschen an den Rand ihrer Kräfte kommen und in Notsituationen gelangen.“ Damit war die Idee zum Hospiz und zur Vesperkirche eine logische Konsequenz.

Bischof würdigt die Lebensleistung

Landesbischof Frank Otfried July würdigt diese Lebensleistung: „Martin Klumpp hat eine große doppelte Begabung: Zum einen ist er der empathische Seelsorger, der Menschen in extremen Krisensituationen begleiten und beraten kann, Seminare für trauernde Menschen hält, für Hospiz und palliative Begleitung eintritt. Zum anderen kann er robust und durchsetzungsstark für aus seiner Sicht notwendige Projekte auftreten. Er hat eindrucksvolle Zeichen und Signale in seiner Amtszeit gesetzt.“

Besser hätte der Bischof die Fähigkeiten von Martin Klumpp nicht auf den Punkt bringen können: Wer große Projekte wie das Hospiz oder den Hospitalhof anstoßen, entwickeln und langfristig zum Laufen bringen will, muss mehr können als strukturiert denken. Er muss in die Seele der Menschen blicken können. Er muss wissen, was Menschen bewegt, um sie zu bewegen. Martin Klumpp erinnert sich gut an die Anfänge zum Hospitalhof: „Die Leute haben Angst gehabt und gefragt: Machen wir hier etwas, das wir gar nicht können?“ Nicht nur hier hat es der Seelsorger geschafft, Angst in Mut und Zuversicht zu verwandeln.

Noch heute wissen Menschen weit über die Stadtgrenze hinaus: Dieser Mensch kann mir in meiner Trauer, auch in den Trauergruppen im Hospitalhof helfen. Er kann nicht nur trösten, er schenkt mir auch neue Horizonte. Diese Arbeit hat Martin Klumpp zu einer gewissen Perfektion gebracht, deren er sich nie selber rühmen würde. Er sagt lieber: „Dieser Auftrag ist doch im Neuen Testament angelegt.“ Oder: „Der Tröster ist eigentlich der Heilige Geist. Wenn man Trauernde begleitet, sieht man, was der Heilige Geist macht.“ Er selbst helfe nur dabei, dass Menschen diesen Prozess zuließen. Dass jene wunderbaren Kräfte wirken, die er selbst nicht in der Hand habe. In dieser Demut liegt wahrscheinlich seine wirkliche Kraft. Nämlich die Kraft Gottes, bei der Martin Klumpp nur als Werkzeug dient: durch gutes und präzises Zuhören, eine Zusatzausbildung zum Ehe, Familien- und Lebensberater und den Tiefenblick in die Seelen, der die Grundkonflikte der Menschen erkennt.

So begegnet Martin Klumpp jedem Menschen im Alltag: mit Tiefe, Neugier, Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Und nie ohne Humor oder Leichtigkeit. In einen Satz gefasst, lautet es so: „In jedem Menschen liegen geheimnisvolle Kräfte.“ Wer diesen unerschütterlichen Glauben an die Menschen und ihren Schöpfer hat, dem scheint vor nichts bange zu sein. Auch nicht vor dem prognostizierten Untergang seiner Kirche in die Bedeutungslosigkeit. „Ich singe dieses Lied nicht mit“, sagt er im Brustton der Überzeugung. Denn erstmals seit 2000 Jahren hätten die Menschen die absolute Freiheit, sich einer Glaubensgemeinschaft anzuschließen. „Heute gibt es keinen gesellschaftlichen Druck, keine durch Kirche erzeugte Angst und keine Konvention, die einen zwingen, in die Kirche zu gehen“, meint Klumpp und führt weiter aus: „Wenn man also alle diejenigen zählt, die aus völlig freiem Willen und ohne jeden Zwang zur Kirche gehören, dann kann man dafür dankbar sein.“

Kritik ja, Besserwisserei nein

Das heißt nicht, dass er den Mitgliederschwund schönreden will. Natürlich gibt es Ansätze zur Kritik: „Jesus hat doch auch niemanden gefragt, ob er in der Kirche sei, bevor er ihn heilte.“ Der Alt-Prälat weiß, „dass die Kirchen voller sein könnten“. Deshalb sei es wichtig, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer die Aufgabe der Predigt ins Zentrum ihrer Arbeit stellen. Was er damit meint, machte er kürzlich bei einem Sonntagsgottesdienst in der Stiftskirche deutlich. Seine Worte haben den Gottesdienstbesuchern etwas gegeben. Sie waren sinnstiftend - haben Glauben und Alltag verbunden. Und das auf eine Weise, dass sich jeder angesprochen fühlte. Ganz gleich ob strenger Pietist oder liberaler Christ.

Diese Fähigkeit, Brücken zu schlagen, hat Martin Klumpp schon als junger und unerfahrener Vikar in Künzelsau geholfen. Auch dort, in der von konservativem Glauben geprägten Provinz, ist Klumpp angekommen. Sein Rezept war damals wie heute das Gleiche: die Dinge unerschrocken anpacken. Selbst dann, wenn man ein mulmiges Gefühl im Bauch hat. Daran erinnert sich Klumpp noch gut, wie er überraschend und spontan zwei Andachten halten sollte und dann auch noch zu spät kam. Aber irgendwie hätten ihn die Leute dennoch in ihr Herz geschlossen: „Ich habe mich einfach dieser Situation gestellt und gedacht: Auch davon kann ich etwas lernen.“

Eine Haltung, die er auch heute seiner Kirche rät: „Kirche darf sich nicht in einer defensiven Art, die von Angst geprägt ist, davon treiben lassen.“ Statt Zweifel an der Zukunft sät er Hoffnung. Sein Dünger auf dem Acker Gottes ist die Kraft der Gemeinschaft. „Wir sehen das doch an der Vesperkirche“, sagt er, „ein Glücksfall, der von vielen mitgetragen wird. Da geht es nicht nur um Armenspeisung. Auch die Leute, die mitmachen, erleben etwas Sinnvolles und ein Gemeinschaftsgefühl.“ Wenn sich Kirche auf diese Werte besinnt, habe sie auch eine Zukunft. Ein Credo, das er als Prälat landauf und landab bei den Gemeinde-Besuchen predigte: „Klagt nicht immer, seid froh über das, was ist und was euch auch gelingt!“ Diese Mischung aus Engagement und Gelassenheit bewundert Bischof July: „Als ich ihn in einem Gespräch einmal darauf hinwies, dass verschiedene juristische und finanzielle Schwierigkeiten im Raum stünden, sagte er nur: ‚Du musst es nur wollen, dann klappt es auch!‘“

Und was hat Martin Klumpp den Menschen dieser Tage zu sagen? Nichts. Kein Appell. Keine Warnung. Nur eine Feststellung, die ganz ohne Wertung auskommt: „In unserer Gesellschaft herrschen zwei Ideologien: Die der absoluten Selbstbestimmung und die der grenzenlosen Machbarkeit.“ Für einen Christen, der sein Dasein stets auf Gott zurückwirft, sind diese beiden Ideale nicht hinreichend fürs ganze Leben. Und ein Pfarrer, der am Montag auf 80 Jahre Leben zurückblickt und zahlreiche Menschen in Grenzsituationen erlebt hat, weiß: Spätestens in diesen Momenten endet dieser Allmachtsglauben. Es ist der Augenblick, in dem sich Martin Klumpp um die menschliche Seele sorgt.