Thomas Lempertz steht in der Ausstellung in Sindelfingen vor einem Bild, das von ausgemusterten Ballettstangen gerahmt wird. Die Stangen stammen aus der alten Cranko-Schule in Stuttgart. Foto: Oliver Kröning/Galerie der Stadt Sindelfingen

Ist Bewegung die Lösung? Thomas Lempertz, Ex-Solist des Stuttgarter Balletts, macht auch Kunst und zeigt in Sindelfingen unter dem Titel „Motion is Solution“ eine Installation aus ausgemusterten Ballettstangen.

Stuttgart/Sindelfingen - Für die einen ist es einfach ein Stück Holz, für andere Teil ihres Lebens. Welche Bedeutung in der Stange steckt, an denen Balletttänzer ihr tägliches Training absolvieren, zeigt dieses Geschenk: Zum Ende ihrer Karriere überreichten die Kollegen einer Starsolistin der Pariser Oper genau das Stück der Ballettstange, an der die Hände der Tänzerin beim Training jahraus, jahrein Halt gefunden hatten.

Stammplatz an der Tür

Auch Thomas Lempertz hatte als Solist des Stuttgarter Balletts einen solchen Stammplatz im Großen Haus der Staatstheater. „Ich stand im Doll-Saal gleich bei der Tür an einer Stelle, an der ich ein bisschen versteckt war“, sagt der Künstler, der sich auf der Bühne in keiner Weise zu verstecken brauchte: Bis zu seinem Abschied 2003 fiel er mit tänzerischer Leichtigkeit und einem besonderen Sinn für Humor auf. Seither macht der gebürtige Pforzheimer als Modedesigner und Kostümbildner auf sich aufmerksam; durch ein Studium an der Stuttgarter Kunstakademie drang er zudem in den Bereich der intermedialen Kunst vor.

Material aus einem leer stehenden Schulgebäude

Wie leicht er sich auch auf dem Parkett von Performance und Installation bewegt, weil er die eigenen Tanz-Erfahrungen als alle Sinne ansprechendes Potenzial zu nutzen versteht, zeigt nun eine Ausstellung im für junge Kunst reservierten Schaufenster der Städtischen Galerie Sindelfingen. Ihr Material sind die ausrangierten Ballettstangen aus dem leer stehenden Gebäude der alten John-Cranko-Schule. Lempertz, selbst ein Absolvent der Talentschmiede, durfte sie ausbauen, damals noch ohne konkretes Projekt, aber mit dem Wissen um den Schweiß und die Geschichten, die in der Patina der bis zu sechs Meter langen Stangen stecken.

In die starre Stange kommt Bewegung

„Wer da alles dran gestanden hat“, sagt Lempertz und erinnert damit an die lange Liste der aus der Schule hervorgegangenen Stars. Als Künstler hat er mit Säge und Gelenken aus dünnen Metallrohren Bewegung in ihrer abstraktesten Form ins starre Holz gebracht. Auch wer keinerlei Bezug zum Ballettsaal-Mythos hat, freut sich am perfekten Rhythmus, in dem eine scheinbar endlose Stange zur konkreten Skulptur geknickt wurde. Filigran wie eine Tänzerin erhebt sie sich nun über einem V-förmigen Fuß im Raum, wechselt beim Umrunden ihre Ansicht. In einer Performance, die auf einem Bildschirm endlos läuft, sucht die Stuttgarter Tänzerin Mackenzie Brown Übereinstimmungen zwischen Kunst und Körper.

Bewegung macht klug

„Bewegt euch, und ihr werdet klüger.“ Mit diesem Satz schreckt der Neurologe Gerd Kempermann alle Sofasitzer auf, Tänzern geht er dagegen runter wie Öl. „Motion is Solution“, Bewegung heißt Lösung, nennt Thomas Lempertz seine kleine Ausstellung entsprechend selbstbewusst. Welch befreiende Kraft ein Von-der-Stelle-Kommen haben kann, weiß jeder, der festgefahrene Diskussionen kennt – und momentan haben wir von Klima über Kapitalismus bis Corona ja einige davon. Ein weißer Tanzboden hebt im Ausstellungsraum scheinbar Grenzen auf; überhaupt hat Galerieleiterin Madeleine Frey die Mini-Schau mit feinem Blick fürs Wesentliche kuratiert.

Wie sich Tradition und Freiheit bedingen

Aus fließender Bewegung entstehen auch die Bilder von Thomas Lempertz: Hauchdünne, aus Silikon gegossene Schichten fügen sich da zu abstrakten Körper-Landschaften, in denen wenige Farben und Formen Orientierung bieten. Die Ballettstangen setzen hier als starre Rahmen dem Fließen Grenzen und regen zum Nachdenken darüber an, wie sich Tradition und Freiheit gegenseitig bedingen.

Das nächste Projekt von Thomas Lempertz ist übrigens am 17. April um 19.30 Uhr zu erleben: Dann geht „Verklärte Nacht“ auf der Internetseite des Dortmunder Balletts online. Für den von Marijn Rademakers mit dem Dortmunder Ballett erarbeiteten Tanzfilm hat Thomas Lempertz die Kostüme entworfen – zum Teil schmiegen sie sich, aus Silikon gestaltet, wie zweite Häute an die Tänzer.

Die Ausstellung in Sindelfingen ist aktuell geschlossen. Nach der Wiedereröffnung soll sie bis zum 11. Juli zu sehen sein; ein Besuch ist dann nach telefonischer Terminvereinbarung unter 07031/94 325 möglich. Sie ist auch online abrufbar: motionissolution-galerie-sindelfingen.de