Teun Toebes (rechts) lebt als Mitbewohner in einem Pflegeheim. Eine Dokumentation darüber soll auf dem G-20-Gipfel gezeigt werden. Foto: Merlijn Doomernik

Mit Anfang 20 zieht Teun Toebes in ein Pflegeheim, wird Mitbewohner von Menschen mit Demenz. Ein Doku darüber soll auf dem nächsten G-20-Gipfel gezeigt werden. Aus seinem Buch liest er am Samstag in Rutesheim.

Teun Toebes sagt, er habe keine Angst, sollte bei ihm eines Tages Demenz diagnostiziert werden. Aber er habe Angst, dann als Krankheit kategorisiert und damit entmenschlicht zu werden. Er kämpft für Erneuerungen in der Pflege. Am Freitag liest er in der Christian-Wagner-Bücherei in Rutesheim aus seinem Buch.

Herr Toebes, warum sind Sie ins Pflegeheim gezogen?

Ich liebe Menschen und ich weiß, dass auch bei mir mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu fünf Demenz diagnostiziert wird. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft von Menschen mit Demenz und wie die Gesellschaft mit ihnen umgeht. Sie werden als Bürger zweiter Klasse gesehen. Als jüngerer Mensch kann ich jetzt jenen eine Stimme geben, die keine Stimme haben.

Dafür müssten Sie nicht in einer speziellen Einrichtung leben.

Das ist richtig. Ich arbeitete drei Jahre in einem Pflegeheim. Ich nahm wahr, dass wir den Menschen nicht zuhören. Als Pfleger lernte ich viele Methoden, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. Als Mitbewohner aber habe ich gelernt, zuzuhören. Ich weiß, es ist einzigartig, so zu leben. Aber ich hoffe sehr, dass es in Zukunft nichts besonderes mehr ist. Dass nationale und internationale Medien über einen jungen Mann berichten, der mit Menschen mit Demenz lebt, sagt eine Menge aus über die Art und Weise, wie wir eben nicht mehr zusammenleben.

Wäre es nicht schöner, mit Gleichaltrigen zu zu leben?

Natürlich wäre es manchmal schön, mit Menschen meines Alters zusammenzuleben. Aber es ist mein Leben, meine Mission. Seit zwei Jahren studiere ich, mache meinen Master in Pflegeethik. Es ist an der Zeit, Fragen zu stellen, warum wir in der Art und Weise handeln, wie wir es derzeit tun.

Sie leben seit zweieinhalb Jahren in der geschlossenen Abteilung, sind Mitbewohner, nicht Pfleger. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Das Wichtigste ist, dass wir alle Lebewesen bleiben, die sich nach Liebe und Geborgenheit sehnen. Menschen mit Demenz bleiben Menschen wie du und ich. Die Grundlage für eine Veränderung ist unsere Sichtweise auf die Demenz. Wenn wir sie anders sehen, werden wir auch anders handeln. Wenn wir den Menschen mit Demenz als Mensch sehen, nicht als Patient, Klient, Bewohner, dann wird alles eine andere Perspektive bekommen. Dann darf der Bewohner ein weich gekochtes Ei essen, was jetzt nicht erlaubt ist, weil man Angst hat, er könnte an Salmonellen erkranken. Meine Freundin Muriel dürfte auch bei 30 Grad nach draußen gehen, was jetzt nicht erlaubt ist, weil es zu heiß ist. Und mein Freund Ad dürfte ein Bier trinken, wann immer er will. Wir, unsere Sichtweise, sind der Schlüssel zu einer besseren Zukunft.

Sind Verbote nicht auch zum Schutz der Menschen gemacht?

Das System ist konzentriert auf Kontrolle und Sicherheit. Aber das Leben ist mit Risiken verbunden, auch wenn man mit Demenz lebt. Mit wurde klar, dass Liebe und Menschlichkeit im Widerspruch zum System stehen. Die Pflege beruht bisher darauf, das Risiko, und damit auch das Leben zu beseitigen.

Sind Demenzdörfer stattdessen die Lösung?

Ich glaube nicht, dass sie die Antwort sind, das ist keine inklusive Welt. Demenz ist ein Ausschlusskriterium. Aber eine Krankheit sollte dies niemals sein. Wie können wir von einer inklusiven Welt sprechen, wenn die meisten Menschen in einer geschlossenen Abteilung leben? Auch ein Demenzdorf ist ein geschlossenes System. Man kann in das Demenzdorf gehen, aber die Menschen mit Demenz können es nicht verlassen. Es ist dasselbe Prinzip wie im Pflegeheim, es ist eine Symptombekämpfung.

Ihre Überlegung geht sehr weit.

Wir haben die Grundlage unseres Menschenbilds zu diskutieren. Die Gleichwertigkeit der Menschen ist das Wichtigste. Wir reden über Menschen mit Demenz, aber wir reden nicht mit ihnen. Es ist an der Zeit, unsere Art und Weise zu handeln zu hinterfragen. In den Niederlanden zahlt jeder Erwachsene jedes Jahr 1200 Euro für ein Pflegesystem, in dem nahezu niemand leben will. Es geht nicht um die Frage, wie viel Geld wir haben, sondern darum, was wir mit dem vorhandenen Geld machen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Wir haben Plastikpflanzen im Wohnzimmer, weil man Angst hat, dass die Pflanzen gegessen werden. Wieder geht es um Risikominimierung. Natürlich kann das passieren, aber wir sollten auf die Fähigkeiten schauen, nicht auf das, was nicht mehr geht. In der Einrichtung, in der ich jetzt lebe, wurden vergangenes Jahr mehr als 20 000 Euro für Plastikpflanzen ausgegeben. Wie können wir ein Leben von Menschen mit Demenz erwarten, wenn sie in einer toten Umgebung leben müssen?

Was muss sich konkret verändern?

Es ist zu einfach zu sagen, man müsse diese drei Dinge ändern und dann leben wir in der perfekten Welt. Das Wichtigste, das wir verändern müssen, ist unser Menschenbild. Es geht nicht um demenzkranke Menschen, sondern um Menschen mit Demenz: Menschen sind keine Krankheit. Aber bei uns macht eine Krankheit die Identität des Menschen aus. Wenn wir sie als Menschen sehen, verändert sich das System, dann beginnen wir, uns Fragen zu stellen. Menschen mit Demenz sind Teil der Gesellschaft, aber nicht in unserer Realität. Wir kreieren bisher eine neue Welt für sie.

Das ist ein großes Ziel.

Ich sage nicht, dass der Wandel schnell geht und einfach ist. Aber er ist notwendig. In den Niederlanden sterben 90 Prozent der Menschen mit Demenz in einer Pflegeeinrichtung, in der niemand leben möchte.

Das werden Pflegekräfte nicht gerne hören.

Meine Botschaft ist kein persönlicher Angriff auf die Pflegekräfte. Ich bin auch eine Pflegekraft, aber auch wir müssen uns verändern, weil wir Teil eines Systems sind, das auf Kontrolle und Sicherheit basiert. So schauen wir als Gesellschaft auf die älter werdende Generation. Wollen wir das? Wir sind die Gesellschaft, wir kreieren das System, wir sind der Wandel, jeder wird benötigt. Demenz betrifft nicht nur das Gesundheitswesen, sondern die gesamte Gesellschaft.

Gibt es kulturelle Unterschiede im Umgang mit Menschen mit Demenz?

Ja. Aber Menschlichkeit ist überall zu spüren. In unserer westlichen Welt glauben wir manchmal, unser Leben nur mit Geld verbessern zu können. Was mich hoffnungsfroh macht – und das ist auch in der Dokumentation zu sehen, die auf dem G-20-Treffen gezeigt wird: Um einen Menschen mit Demenz als Mensch zu sehen, bedarf es keines Geldes. Es kostet weder mehr Zeit noch Geld.

Teun Toebes in der Region

Veranstaltung
 Teun Toebes kommt an diesem Samstag, 11. März, nach Rutesheim. Im Bürgersaal der Christian-Wagner-Bücherei liest er aus seinem Buch „Der 21-Jährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern mit Demenz lernte, was Menschlichkeit bedeutet“.

Moderation
Die von Sigi Gall moderierte Veranstaltung der Buchhandlung One in Kooperation mit der Stadt und Silkes Essbar beginnt um 19 Uhr, Einlass 18.30 Uhr. Der Eintritt kostet 20 Euro, ermäßigt die Hälfte, Imbiss und Getränke inklusive. Mitarbeiter und Ehrenamtliche aus Pflegeberufen sowie Schüler, die sich ernsthaft für eine Ausbildung in diesen Berufen interessieren, erhalten laut den Organisatoren freien Eintritt.