Der bisher letzte große Aktionstag für einen fairen Strukturwandel fand Mitte November 2019 statt – damals standen etwa 15 000 Metaller auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Diesmal sind wegen Corona weniger Teilnehmer zugelassen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die IG Metall ruft wieder zum bundesweiten Aktionstag auf. Am 29. Oktober sollen allein in Stuttgart etwa 10 000 Beschäftigte auf die Straße gehen – ein Fingerzeig vor allem an die künftigen Koalitionäre in Berlin.

Stuttgart - Die IG Metall bedrängt die künftige Bundesregierung und die Unternehmen im Land, sich stärker für sichere Arbeitsplätze in der Transformation einzusetzen. Mit diesem Ziel ruft die Gewerkschaft am 29. Oktober zu einem Aktionstag unter dem Motto „FairWandel – sozial, ökologisch, demokratisch“ auf. Bundesweit sind gut 50 Veranstaltungen geplant. Für Baden-Württemberg ist am Freitagnachmittag eine zentrale Kundgebung im Stuttgarter Stadtgarten geplant. Dazu werden 10 000 Metaller erwartet. Für eine größere Teilnehmerzahl „hätten wir uns einen anderen Platz suchen müssen“, sagte der Bezirksleiter Roman Zitzelsberger mit Blick auf die Coronaregeln.

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Im Vorfeld bekräftigte er die Forderung an die Politik, bis 2030 öffentliche Investitionen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur der E-Mobilität und Zukunftstechnologien bereitzustellen. Ferner müssten Forschung und Qualifizierung stärker gefördert werden. Konkrete Vorschläge hatte die IG Metall jüngst gemeinsam mit dem Bundesverband der Industrie (BDI) gemacht.

Die IG Metall sorgt sich um die Größe des „Kuchens“

Mit Blick auf die Koalitionsgespräche äußerte Zitzelsberger die große Sorge, dass durch die Haushaltsdisziplin mit dem Streben nach der „schwarzen Null“ einerseits sowie der Verabredung, keine zusätzlichen Steuern zu erheben, andererseits „der Kuchen schon definiert ist“. Die Herausforderung sei nun, dennoch Investitionen in großem Stil zu ermöglichen. Auch außerhalb der klassischen Haushaltslogik seien Fondslösungen, Investitionsagenturen oder Ähnliches denkbar – entsprechend werde die IG Metall Einfluss auf die angehenden Koalitionäre nehmen. Kritik übte er am Sondierungspapier, das einen Fokus auf die Förderung strukturschwacher Unternehmen lege: Nötig sei auch eine „konkrete Förderung von strukturstarken Regionen, damit sie es in Zukunft bleiben“, betonte Zitzelsberger.

An die Arbeitgeber gerichtet warnte der Bezirksleiter: „Es ist klar erkennbar, dass viele Unternehmen mit der Ausrede der Transformation jetzt beginnen, Zukunftsprodukte nicht mehr in Deutschland zu lokalisieren – und zugleich bestehende Produktionen mit Verweis auf die Kosten verlagern.“ Es brauche aber „ein klares Bekenntnis, Entwicklung, Forschung und Produktion hier zu halten“. Wo nichts oder falsch entschieden werde, werde die IG Metall die Auseinandersetzung führen.

Die Zukunft des Standorts Neckarsulm ist unsicher

Ein Beispiel ist Audi Neckarsulm, dessen Zukunft offen ist. „Alle eint eine Frage: Welches volumenstarke E-Fahrzeug wird ab Mitte des Jahrzehnts dort produziert?“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rolf Klotz. Für vier, fünf Jahre gebe es „hinlänglich Arbeit“. Die 15 000 Beschäftigen hätten es verdient, dass man ihnen eine klare Perspektive in Produktion und Entwicklung für die zweite Hälfte des Jahrzehnts aufzeigt. Deutlich ermahnt er das Management: „Wer das Ende des Verbrenners verkündet, muss auch eine Lösung für Neckarsulm auf den Tisch legen – das werden wir weiterhin vehement einfordern.“

„Bei ZF stehen Tausende Stellen auf dem Spiel“

Auch Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratschef bei ZF Friedrichshafen, zeichnet ein eher düsteres Bild: „Die längerfristigen Szenarien weisen alle nach unten.“ Die Zulieferer seien von den „massiven Wertschöpfungsverlusten“ durch E-Mobilität deutlich härter getroffen als die Automobilhersteller, die noch viele Möglichkeiten hätten, an Wertschöpfung zu kommen. Zudem ließen sich immer mehr Zulieferer zu Verlagerungen in „Best-Cost-Countries“ verleiten, wo sie mit Fördergeldern, neuen Werken, niedrigen Löhnen und einer Infrastruktur angelockt würden. Zunehmend würde Produktion aber dorthin verlagert, wo Firmen den Markt vermuteten. Hinzu käme die Rationalisierung durch den technischen Fortschritt. Unterm Strich bedeute dies in der Vorausschau von sechs bis acht Jahren „Riesenlücken in der Beschäftigung“ – allein „bei ZF stehen Tausende Stellen auf dem Spiel“.

Der Vorstand wolle betriebsbedingte Kündigungen bis 2035 zwar vermeiden, mache aber Planungssicherheit zur Voraussetzung. Somit könne das Unternehmen die Investitionen alleine nicht stemmen, die Politik müsse helfen. „Wir brauchen jetzt nicht ein Klimaressort, sondern eine starke Industriepolitik“, fordert der Betriebsratschef.

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