Benedikt Paulowitsch, Rathauschef in Kernen, will seine Perspektiven erweitern – und bewährt sich im Supermarkt im Ortsteil Stetten. Auch mit verbaler Schlagfertigkeit.
Der eine oder die andere aus der älteren Generation erinnert sich möglicherweise an die eher als Flop verbuchte Hollywood-Actionkomödie „Rent a Cop“ mit Burt Reynolds und Liza Minnelli in den Hauptrollen. In Kernen dachten wohl manche Bürgerinnen und Bürger am Freitagvormittag, sie wären ebenfalls im Film: Denn beim Einkauf im Supermarkt im Ortsteil Stetten saß völlig überraschend ein ganz neuer Rewe-Mitarbeiter an der Kasse – es war der Bürgermeister höchstpersönlich.
Vorbild ist eine Gemeinde im Kreis Karlsruhe
„Rent a Bürgermeister“ nennt Schultes Benedikt Paulowitsch denn auch tatsächlich diese neue Initiative. Eine deutschlandweite Vorreiterrolle nimmt er mit dieser Idee zwar nicht ein, die Onlinerecherche nennt den Bürgermeister Timur Özcan aus der Gemeinde Walzbachtal (10 000 Einwohner) im Landkreis Karlsruhe als Erfinder eines derartigen Vorhabens. Dort können die Bürgerinnen und Bürger ihren obersten Repräsentanten für einige Stunden mieten.
Erst auf dem Rasenmäher, jetzt an der Supermarktkasse
Ganz so ist es in Kernen nicht. Hier möchte Benedikt Paulowitsch hinter die Kulissen von Betrieben blicken und mit den Beschäftigen ins Gespräch kommen. Im Sommer 2021 war er beispielsweise schon beim Betriebshof in der Grünpflege im Einsatz. „Da oben auf dem Rasenmäher zu sitzen, das hat schon Spaß gemacht“, sagt er am Freitag zwischen Verkaufsregalen, als er „mit gewisser Anspannung“ auf seinen Einsatz im Supermarkt wartet. „Ich will ja keinen Stau mit langer Schlange produzieren.“
Da er mit Familie in Stetten wohnt, kommt der Bürgermeister öfter zum Einkaufen her, meist zu Fuß oder seit Kurzem auch mit einem E-Roller. Doch nun soll er nicht an der Kasse anstehen, sondern auf der anderen Seite sitzend den korrekten Umgang mit der Kundschaft meistern. „Die Kasse sollte am Abend schon stimmen“, gibt ihm Inhaber Jürgen Lang um Punkt 9 Uhr schmunzelnd mit auf den Weg zu Kasse 1.
Für die anfängliche Schnellschulung und dann als eine Art Aufpasserin stellt sich Susann Türi, eine von 27 Beschäftigten in Stetten, hinter den Kurzzeit-Mitarbeiter. „Nanu, neuer Job?“, fragt verblüfft ein Kunde. „Ich muss halt auch mal raus aus dem Rathaus“, kontert der in Jeans, Hemd und Jackett gekleidete Schultes schlagfertig. „6,97 Euro“ leuchtet auf dem Display auf, der Kunde reicht einen Zehn-Euro-Schein rüber. „Stimmt so“ – natürlich ein Scherz.
In diesem lockeren Ton geht’s im Minutentakt weiter. „Sorry, ist mein erster Tag“, sagt Paulowitsch lächelnd, als er einen kleinen Hänger am laufenden Band hat. Ein Spruch folgt dem nächsten. „So so, ein Bürgermeister, der mit Geld umgehen kann“, sagt ein Kunde, ein anderer flüstert, als er das gelbe Obst auflegt, „ein Politiker, der mit Zitronen handelt“. Pieps um Pieps mit dem Scanner wird Paulowitsch routinierter, fragt nach der Payback-Karte, wünscht „einen guten Start ins Wochenende“ und vergisst auch nicht den Blick in die Eierschachtel. Prompt ist ein Ei kaputt, flugs bringt ein Mitarbeiter eine neue Schachtel.
Auch die Gattin Chantal zahlt beim Schultes
Als dann die Gattin Chantal mit dem Kinderwagen auftaucht, ist die Freude beim Kassierer noch größer. Doch die nächste Kundin wartet hinter ihr, von seinen Aufregungen bei der Premiere als Supermarkt-Kassierer wird er erst am Abend berichten können. „Bei den meisten Anfängern sind die ersten Stunden die schlimmsten“, sagt Jürgen Lang, der die Szenerie aus ein paar Metern Entfernung beobachtet. „Doch er macht das richtig gut“, urteilt der Chef über die schnelle Auffassungsgabe des Mitarbeiters der Stunde. „Ich glaube, wir können ihn für eine Festanstellung ins Auge fassen.“