Im Rems-Murr-Kreis leben viele Eingewanderte. Einige brachten in ihrem Reisegepäck auch ihre Instrumente mit. Auch deren Nachkommen machen Musik und schaffen eigene Songs und Sounds – wie der Akkordeonist David Ljubojevic aus Backnang.
Wenn David Ljubojevic spielt, klingt das Akkordeon fast wie ein ganzes Orchester. Bei Vivaldi ersetzt es ihm die Geigen, bei Bach die Orgel oder das Klavier. Das Nachwuchstalent spielt auf dem Akkordeon am liebsten klassische Stücke. Bei Auftritten und Wettbewerben zeigt der 19-Jährige, dass dieses von Spöttern oft als „Quetschkommode“ abgewertete Instrument problemlos auch in der Königsdisziplin, der Klassik, bestehen kann. Die Fingerkuppen huschen mal rasend schnell, mal wandern sie gemächlich über die perlmuttartig glänzenden Knopfreihen seines Scandalli-Akkordeons. Und den Blase-Balg – die Lunge des Akkordeons in der Mitte – bedient er durch Ziehen und Drücken. Bei ihm geht alles ineinander über. Über Schalter kommen noch Chöre dazu.
Vivaldi, Piazzolla und Johann Strauß
So lässt Ljubojevic beim „Frühling“ von Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ die Vögel singen. Später rauscht es im Blätterwald und ein Sturm kommt auf. All diese Töne zaubert er allein aus seiner magischen Trickkiste. Vivaldis „Winter“ hat er 2021 während der Pandemie in der Halle in Steinbach eingespielt. Zudem Werke von Astor Piazzolla und Johann Strauß. Das Ganze coronakonform. Er spielte, und seine Mutter machte Video- und Tonaufnahmen. „Wir haben den ganzen Tag Stücke aufgenommen und sie dann für einen Wettbewerb in der serbischen Stadt Smederevo eingereicht“, erzählt Davids Mutter Dragica Ljubojevic. Am Ende sprang der 2. Platz heraus.
Begonnen hat alles vor zwölf Jahren. Damals ging David in die Grundschule. Irgendwann kam Bianca Rieger vom Akkordeon-Ring Steinbach im Rahmen einer Kooperation des Vereins mit der Backnanger Schule zu den Zweitklässlern. Sie stellte den Kindern das Instrument und die ersten Übungsschritte vor. Der siebenjährige David war Feuer und Flamme: „Ich wollte von da an unbedingt Akkordeon spielen“, erzählt er. Seine Mutter war erst skeptisch, denn sie wusste nichts mit dem Begriff „Akkordeon“ anzufangen. Beim Elternabend ließ sie sich überzeugen. In ihrer alten Heimat im ehemaligen Jugoslawien war die „Harmonika“, wie sie dort heißt, ein Volksinstrument. Inzwischen ist sie selbst begeistert und spielt beim Akkordeon-Ring Steinbach mit.
Die Mutter und Großmutter von David stammen ursprünglich aus einem Ort nahe Serbien in der „Republika Srpska“ (RS). RS bildet heute zusammen mit der Föderation Bosnien und Herzegowina den Staat Bosnien-Herzegowina. Bereits mit 16 Jahren kam Dragica Ljubojevic aus der Ortschaft Mračaj nach Süddeutschland: „Meine eigene Mutter holte mich vorsichtshalber vor dem Ausbruch des Bosnienkrieges hierher. Sie ahnte schon, dass das für uns gefährlich werden könnte“, erzählt sie.
Mit ihrer alten Heimat verbindet sie heute nach fast 35 Jahren so gut wie nichts mehr. „Ich bleibe auch künftig hier.“ Besonders wohl fühlt sie sich im Orchester des Akkordeon-Rings in Steinbach. Das sei wie eine zweite Familie für sie. Sohn David brachte sie in Backnang zur Welt. Sie hat ihn bis auf die ersten zwei Lebensjahre allein großgezogen. Einige Zusatzschichten an der Supermarkt-kasse, wo sie arbeitet, waren nötig, um all seine Privatstunden zu finanzieren.
Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Trossingen
Inzwischen besitzt David Ljubojevic auch fünf Akkordeons, eines teurer als das andere: „Irgendwann habe ich aufgehört, zu fragen, was es kostet. Für mich ist es wichtig, dass mein Sohn Freude daran hat“, konstatiert Dragica Ljubojevic. Die Investition hat sich gelohnt. Der Backnanger hat einige Preise gewonnen, auch bei „Jugend musiziert“. Jetzt bereitet er sich neben seiner Lehre als Maschinen- und Anlagenbauer auf die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Trossingen vor.
David Ljubojevic hat sein Repertoire auf circa 125 Stücke erweitert. Vom Tango über Volksmusik bis zur Klassik kann er alles spielen. Sein ganzer Fokus liegt auf dem Akkordeon: Was ihn davon ablenkt, streicht er aus seinem Tagesplan. Geholfen hat ihm dabei paradoxerweise die Zeit der Corona-Pandemie. Er fokussierte sich in der Zeit auf das Wesentliche, nahm Online-Akkordeonunterricht und übte bis zu 35 Stunden die Woche.
Auch in der Schule wurde er besser und besser. Der fehlende soziale Kontakt, den viele Jugendliche während der Corona-Zeit beklagten, bewirkte bei ihm das exakte Gegenteil: „Plötzlich war ich frei und konnte das machen, was mir am meisten lag.“ So gut wie alle Social-Media-Aktivitäten hat er inzwischen deaktiviert. „Frisst alles nur unnötig Zeit“, sagt er und resümiert: „Bei mir hat am Ende das Akkordeonspiel alle negativen Gewohnheiten beiseitegeschoben.“