Das Projekt in Hamburg wurde in den Sand gesetzt: Jürgen Wagner, der „Head of Beach“, hat gekündigt. Foto: imago//Peter Weber

Der Erfolgstrainer, der die Gold-Teams Brink/Reckermann und Ludwig/Walkenhorst formte, hat genug von den Querelen im Verband und reicht die Kündigung ein. Die Gründe sind diskutabel.

Die Bilder sind unvergessen. Bei den Olympischen Spielen 2012 befand sich das Beachvolleyball-Stadion auf der spektakulären Horse Guards Parade im Zentrum Londons. Vier Jahre später, in Rio de Janeiro, stand die Stahlrohr-Arena dann auf der Copacabana, auch dieses Motiv ging um die Welt. Es hätte keine besseren Orte für zwei historische Erfolge deutscher Teams geben können. Vor zehn Jahren gewannen Julius Brink und Jonas Reckermann, 2016 triumphierten Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, nach deren Coup Jürgen Wagner (Spitzname „Goldschmied“) im Pressezelt bis um 3.30 Uhr morgens sein Erfolgsmodell erklärte. Doch dass selbst dem Mann, der beide Olympiasieger-Duos formte, nicht alles gelingt, zeigte sich diese Woche.

Jürgen Wagner reichte beim Deutschen Volleyball-Verband (DVV), der vor zwei Jahren eigens für ihn am Bundesstützpunkt in Hamburg die Stelle „Head of Beach“ geschaffen hatte, seine Kündigung ein. Diese markiert das Ende eines Projekts, das die Beteiligten komplett in den Sand gesetzt haben.

Klare Worte von Jürgen Wagner

Die fachlichen Qualitäten von Jürgen Wagner sind unbestritten. In Hamburg, wo der DVV seine Beachvolleyball-Aktivitäten zentralisiert hat, sollte er zudem eine einheitliche Philosophie und professionelle Strukturen entwickeln – mit dem Ziel, 2024 in Paris erneut zuzuschlagen. Dieses Vorhaben lief aus Sicht des Erfolgstrainers auch gut, allerdings nur bis zur Freistellung von Niclas Hildebrand. Mitte Juli trennte sich der Verband nach etlichen internen Querelen von seinem Sportdirektor Beach, was Wagner überhaupt nicht nachvollziehen konnte. „In den vergangenen Monaten hat sich bei mir immer mehr die Überzeugung verstärkt, dass die Unterstützung für den Höchstleistungsbereich Beachvolleyball nicht im Fokus des DVV liegt“, erklärte er gegenüber dem „Volleyball-Magazin“ seine Kündigung, „durch die Beurlaubung von Niclas Hildebrand sehe ich für mich keine Möglichkeiten, meine und unsere Ziele zu erreichen. Er hat einen hervorragenden Job gemacht, die Trennung ist eine deutliche Schwächung unserer Sportart.“ Zudem sei der Zeitpunkt der Beurlaubung vom DVV „super ungeschickt“ gewählt worden: „Dies zwischen WM und EM zu machen geht gar nicht.“

Harsche Kritik von Alexander Walkenhorst

Dass der Abschied von Wagner einen Einschnitt bedeutet, steht für Beachvolleyball-Ikonen wie Julius Brink („Es ist ein Verlust an Qualität, der nicht zu beziffern ist“) oder Laura Ludwig („Er bringt viel Know-how ein, hat viel erlebt, viel Erfahrung – das ist bitter“) völlig außer Frage. Und doch ist es kein Fehler, die Gründe für die Demission des Erfolgstrainers zu hinterfragen. Denn Niclas Hildebrand ist längst nicht bei allen so unumstritten, wie ihn Jürgen Wagner sieht.

Am deutlichsten abqualifiziert hat Alexander Walkenhorst die Arbeit von Hildebrand. „Mehr als vier Jahre Lügen und Betrügen“ attestierte der deutsche Meister von 2021 und Beachvolleyball-Unternehmer dem Ex-Sportdirektor in seinem Podcast „SCAM“ , die Trennung von ihm sei „längst überfällig“ gewesen: „Er ist eine toxische Person, war in dieser Position schlichtweg falsch.“

Warum es letztlich zur Beurlaubung kam, darüber schweigt der DVV. Julia Frauendorf, im Vorstand für den Sport verantwortlich, sagte lediglich: „Es war keine Kurzschlussreaktion auf einzelne Vorkommnisse – es hat seine Historie.“ Dazu gehört der Fall Kim Behrens/Cinja Tillmann.

Die Aussortierte fährt Erfolge ein

Das Duo verklagte den Verband, nachdem es von Hildebrand bei Turnieren trotz einer guten Weltranglistenposition immer wieder ausgebootet worden war. Am Ende gewann der Verband den Rechtsstreit zwar, die Nominierungspraxis aber blieb fragwürdig – auch weil ausgerechnet Behrens/Tillmann, denen der Sportdirektor die nötige Klasse abgesprochen hatte, bei der EM 2020 Silber holten. Mittlerweile spielt Cinja Tillmann an der Seite von Svenja Müller. Das Duo gewann im Juni WM-Bronze in Rom. „Wir haben ihr riesiges Potenzial gesehen“, sagte Hildebrand, „ aber dass sie schaffen, es so schnell abzurufen, hat uns überrascht.“ Was er früher über Tillmann gedacht hatte? Vergessen!

Zugleich betrieb Hildebrand seine diskussionswürdige Personalpolitik weiter. Die Stuttgarterin Chantal Laboureur, einstige Weltranglisten-Erste und weiterhin eine der besten deutschen Abwehrspielerinnen, genießt auch diese Saison nicht die Privilegien eines Nationalteams – sie trainiert mit ihrer Partnerin Svenja Schulz nicht in Hamburg. Dafür verschaffte Hildebrand dem allein aus PR-Gründen zusammengestellten Team Louisa Lippmann/Kira Walkenhorst eine Wildcard für die EM in München, bei der die Deutschen komplett leer ausgingen. Eine Woche zuvor hatte das Elite-16-Turnier in Hamburg stattgefunden, auch dort wollte Hildebrand dem Star-Duo ins Feld verhelfen, scheiterte aber am Veto von Athletenvertreterin Victoria Bieneck und Julia Frauendorf. Darüber soll es zu einem Disput gekommen sein, am Ende stand der Abschied. Erst von Hildebrand, dann von Wagner.

In Paris wird unter dem Eiffelturm gespielt

Der notorisch klamme Verband, dessen Hallenteams die Olympiaqualifikation für Tokio 2021 verpasst hatten, muss sich nun im Sand völlig neu aufstellen. Vielversprechender ist da fraglos die Perspektive von Wagner. Es wäre keine Überraschung, würde der „Goldschmied“ schnell ein neues Projekt finden – er hätte ja nun Zeit, um das künftige Team Louisa Lippmann/Laura Ludwig (derzeit in der Babypause) auf die Sommerspiele 2024 vorzubereiten. Dann wird in Paris unter dem Eiffelturm gespielt. Es wäre kein schlechter Ort für den nächsten unvergesslichen Coup.