Wolfgang Heim räumt den Platz vor dem Mikron im SWR-Funkhaus. Foto: SWR/Patricia Neligan

Mit legendären Trainerworten verabschiedet sich Wolfgang Heim, eine der bekanntesten Stimmen des Südwestens, nach 40 Jahren vom Radio: „Lebba geht weiter.“ Seine letzte „Leute“-Sendung dient dem kritischen Blick auf die Entwicklung des Journalismus.

Zu sentimentalen Gefühlsregungen lässt sich Wolfgang Heim, 67, auch dann nicht hinreißen, wenn zum Ende seiner letzten „Leute“-Sendung am Donnerstag sein etwas älterer Kollege Rüdiger Becker ihm Mut zusprechen will: Der Bald-Rentner möge loslassen können, neue kreative Chancen nutzen, sollte er sich demnächst nicht mehr so wichtig fühlen. Der Scheidende, mit dem Generationen von Hörern aufgewachsen sind, bleibt gelassen. „Lebba geht weiter“, sagt er knapp mit dem Ausspruch von Ex-Eintracht-Coach Stepanovic von 1992.

1980 kam er als Hospitant zur SDR-Jugendsendung „Point“

Nein, Heim hadert nicht mit seinem Abschied – zu dankbar ist er für das Erlebte: „Meine Art zu arbeiten, das war mir immer bewusst, war eine hochprivilegierte.“ Der gebürtige Offenburger, der in Stuttgart Politik und Germanistik studierte, kam 1980 als Hospitant in den spannenden Zeiten der Friedensbewegung, des Machtwechsels von Schmidt zu Kohl, der Hausbesetzungen zur SDR-Jugendsendung „Point“ – Volontär war Thomas Roth, der spätere ARD-Korrespondent in Moskau und New York und „Tagesthemen“-Moderator. Zu seinem Abschied nach über 3000 „Leute“-Sendungen hat sich Heim die beiden „Point“-Kollegen aus grauer Vorzeit eingeladen. Rüdiger Becker, der frühere „Point“-Redaktionsleiter, und Roth sind beide Jahrgang 1951, kommen sich vor „wie beim Klassentreffen“ und begnügen sich nicht damit, aufregende und lustige Anekdoten aus den 80ern zu erzählen. Es geht auch darum, wie sich der Journalismus in vier Jahrzehnten verändert hat, seit das Trio gemeinsam in Stuttgart begann – nicht immer zum Positiven, wie sie sich einig sind.

„Schnelligkeit statt Gründlichkeit im Journalismus“

„Heute kann in den sozialen Medien jede und jeder für sich Journalismus spielen“, sagt Rüdiger Becker, „traditionelle Medien mit gründlicher Recherche spielen keine so große Rolle mehr.“ Thomas Roth pflichtet ihm bei: Der Zwang zur Schnelligkeit in der Berichterstattung wegen der wachsenden Konkurrenz führe oft dazu, dass man „nicht mehr so in die Tiefe geht“. Die Gefahr sieht er, dass die aufklärerische Funktion der Medien auf der Strecke bleibe, wenn die Schlagzahl der Meldungen so extrem erhöht wird. Becker, der nach seiner Stuttgarter Zeit unter anderem Hörfunkkorrespondent für den WDR in Berlin war, kritisiert außerdem, „dass sich viele Journalisten in ihrer Blase befinden“. Als Beispiel dafür nennt er eine Titelgeschichte im „Spiegel“ zum Thema Homeoffice. Auf dem Cover sei ein Mann mit dem Laptop unter einem Baum im Garten zu sehen gewesen, dahinter seine Frau und fröhliche Kinder. Mit der Lebenswirklichkeit der allermeisten Arbeitnehmer im Homeoffice habe dies nicht zu tun gehabt. Der Vorwurf lautet: Journalisten heute sind oft zu abgehoben. Das müsse sich ändern.

Das erste „Leute“-Gespräch führte Wolfgang Heim am 4. April 1985 mit dem damaligen Friedensaktivisten Klaus Vack. Im Rückblick sagt die „Talklegende“, wie ihn der SWR feiert: „Ich fand es wichtig, auch mal provokante Sendungen zu machen.“ Trotzdem bleibt er als Talker der leisen Töne im Gedächtnis. Nie stellt er sich selbst in den Mittelpunkt, wie das heute in etlichen TV-Formaten üblich ist. Sollte sich Heim mal über etwas ärgern, klingt auch dies unaufgeregt.

Bei Altkanzler Helmut Schmidt hat er den Test bestanden

Abgebrochen hat er in all den Jahren nur eine Sendung, als sich ein Gast als Nazi geoutet hat. Unvergessen ist seine Begegnung mit Helmut Schmidt. Der frühere Kanzler habe ihn in seinem Verlegerbüro bei der „Zeit“sehr unfreundlich empfangen. Dies sei eine Art Test gewesen. „Wer einknickte, konnte im Grunde gehen“, erzählt Wolfgang Heim, „ich hatte wohl die Prüfung bestanden, zumindest hörte er mir zu. Ich habe das daran gemerkt, dass er mich bei der ersten Frage etwa vier Minuten lang korrigierte.“

Schneller zur Sache kam Wirtschaftsminister Robert Habeck. Als sein Fan outet sich Heim: „Er hat viel Substanz, redet ohne Floskeln und wäre für mich der bessere Kanzlerkandidat gewesen.“ Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann war Stammgast beim Format „Leute“, das der gebürtige Offenburger seit 1988 betreut hat, bis 2015 mit Stefan Siller. Zum Abschied gibt’s Lob des Regierungschefs. „Relevante Gespräche“ habe er mit Wolfgang Heim führen können, „oft mit überraschenden Einsichten am Ende“, teilt Kretschmann über seinen Sprecher mit.

„Die in der dritten Liga machen die Mätzchen“

Seine Arbeit hat Heim geprägt. „Man lernt Demut, wenn man Menschen erlebt, die – beispielsweise – bis zum Hals gelähmt ihr Schicksal annehmen und ihr Leben meistern“, sagt er. Eine weitere Erkenntnis seiner vielen Radiogespräche: „Die, die in der ersten Liga spielen, sind freundlich und angenehm. Die aus der zweiten und vor allem dritten Liga machen die Mätzchen.“

Carola Oldenkott, Chefin von SWR 1 und SWR 4, erinnert sich, dass Heim „nicht ein einziges Wort“ mit ihr gesprochen habe, als sie sich kennenlernten. Wenn er jetzt gehe, könne sie sagen: „Ich werde die vielen tollen Gespräche über Gott, Menschen und die Welt mit ihm sehr vermissen.“ Künftig sind für „SWR 1 Leute“ Nicole Köster, Nabil Atassi und Jens Wolters verantwortlich.