Die Leonbergerin Marita Raschke von der G9-Elterninitiative im November 2023 bei der Übergabe der letzten Unterschriften für die G9-Petition am Stuttgarter Landtag. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Seit diesem Schuljahr ist G9 erst einmal ab Klasse 5 und 6 wieder Regelform im Land. Schulleiter am Gymnasium erwarten doppelte Herausforderungen, die gut geregelt werden müssen.

Obwohl Baden-Württemberg ab diesem Schuljahr flächendeckend vom achtjährigen auf das neunjährige Gymnasium (G9) als Regelform umgestellt hat, konnte sich Jürgen Schwarz, der Schulleiter des Rutesheimer Gymnasiums, in der Vorbereitungsphase relativ entspannt zurücklehnen. Denn „seine“ Bildungseinrichtung ist eine von 44 auserwählten Modellschulen im Land gewesen, in denen Schülerinnen und Schüler ihr Abitur auch bislang erst nach neun, anstatt bislang üblichen acht Jahren machen konnten.

Schwarz kann sich noch gut erinnern, wie herausfordernd diese Umstellung im Schuljahr 2012/2013 vor mehr als zehn Jahren in seiner Schule gewesen ist. „Auf die Gymnasien warten in den nächsten Jahren Parallelstrukturen, die sie gut organisieren und begleiten müssen“, sagt er. Es sei auch eine große Herausforderung und eine anstrengende Denkaufgabe für die Lehrkräfte, die in den nächsten Jahren zwei Geschwindigkeiten bis zum Abitur fahren müssten. Denn: Die Einführung von G9 ist aufwachsend und betrifft zunächst die Klassenstufen 5 und 6.

G9-Elterninitiative um Martia Raschke aus Leonberg kämpft weiter

Die Ablösung des G8-Regelzugs durch G9 war in Baden-Württemberg lange umkämpft. Dabei hatte eine Elterninitiative für Aufsehen gesorgt und Durchhaltevermögen an den Tag gelegt. Mehr als 100 000 Unterschriften sammelten sie für ihren Volksantrag und forderten die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Mit Erfolg. „Unsere Forderung wurde allerdings nicht ganz erfüllt, denn wir wollten, dass alle derzeitigen Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien bis zur zehnten Klasse zwischen G8 und G9 optional wählen können“, sagt die Leonbergerin Marita Raschke, die in der Initiative von Beginn an aktiv ist.

Für die unteren Klassen im Gymnasium heißt es ab sofort: Entschleunigung auf dem Weg zum Abitur. Foto: Simon Granville

Die Landesregierung legte dann einen eigenen Gesetzentwurf vor, damit G9 schrittweise zurückkehrt. Das ist für die G9-Elterninitiative nicht zufriedenstellend. Sie gibt sich weiterhin kämpferisch und sammelt für einen zweiten Volksantrag. „40 000 Unterschriften benötigen wir dafür, momentan haben wir etwas mehr als die Hälfte“, sagt Marita Raschke.

G9 hat das Ziel, den Lernstoff am Gymnasium zu entzerren

Für Christoph Brechtelsbauer, den Schulleiter des Gymnasiums Korntal-Münchingen, ist die Umstellung so, wie sie entschieden wurde, nachvollziehbar. „Das G9 hat das Ziel, den Lernstoff zu entzerren, und entzerren braucht Zeit.“ Und so mache in den höheren Klassen eine sofortige Entschleunigung keinen großen Sinn mehr, „weil der Stoff ja schon gelernt wurde“.

Er selbst hat vor 15 Jahren die Umstellung von G9 auf G8 als Schulleiter in Korntal-Münchingen mitgemacht. „Jetzt geht es wieder zurück, und für uns ist ja klar, was zu tun ist. De facto fallen etwa zwei Lernstunden pro Woche weg. Jetzt gilt es, den Lehrplan proportional vernünftig zu strecken“, sagt Brechtelsbauer. Wegen der geringeren Stundenzahl hat die Umstellung auf das neunjährige Gymnasium einen geringeren Bedarf an Lehrkräften zur Folge. „Da wir stets eine Fluktuation haben, fällt das nicht so unmittelbar auf. Doch die Einstellungschancen für Lehrer werden erst einmal sinken“, sagt Brechtelsbauer.

Auf eine organisatorisch herausfordernde Zeit bis zum Schuljahr 2031/2032 – dann sind alle Schülerinnen und Schüler im G9-Zug – stellt sich Sandra Heyn, die Schulleiterin des Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG) ein. „Weil immer G8 und das neue G9 mitgedacht werden müssen. Hier liegen unterschiedliche Stundentafeln zugrunde, die parallel eingehalten werden müssen.“

Zu beachten sei auch, sagt Sandra Heyn weiter, dass ein aktueller Siebtklässler bei einer Nichtversetzung im nächsten Schuljahr die Klasse 6 wiederhole und dadurch nicht ein, sondern durch G9 zwei Jahre verliere. Im Schuljahr 2031/32 wird es kein Abitur und damit auch keine Abiturientinnen und Abiturienten geben. „Das ist eine besondere Situation, insbesondere für die Hochschulen, Universitäten und für die Träger von FSJ-Stellen eines freiwilligen sozialen Jahres.“

G9 statt G8 am Gymnasium: Neue Chancen für Vereine und Kirchen

Einige Vorteile, weil der Unterricht gestreckt wird und daher Raum für Innovation geschaffen werden kann, sieht Matthias Bochert, der Schulleiter des Ditzinger Gymnasiums: „Mit den neu eingeführten Elementen, zu dem auch Coachingstunden gehören, können Schülerinnen und Schüler besser individuell begleitet werden. Zudem werden nicht mehr nur die schwächeren, sondern auch die leistungsstarken Schüler durch Differenzierungsstunden in der Unterstufe besser gefördert.“

Gerade für die jüngeren Schüler gäbe es jetzt mehr Zeitfenster für AGs. „Allerdings kann die Schule hier nicht zusätzliche Angebote liefern“, sagt Bochert. Chancen würden sich hier für die Vereine und Kirchen ergeben, die in der Kinder- und Jugendarbeit nicht mehr unbedingt auf die späten Nachmittage ausweichen müssen.