Schüler und Eltern schätzen an den Gemeinschaftsschulen unter anderem die individuelle Förderung, welche die Kinder dort erfahren. Foto: / Gottfried Stoppel/Archiv

An der Gemeinschaftsschule zum Abi – das ist im Rems-Murr-Kreis nicht möglich. Bei einer Debatte in Waiblingen haben Eltern, Politiker und Behördenvertreter mögliche Wege zum Ziel diskutiert.

Was macht mein Kind nach der 10. Klasse? Diese Frage beschäftigt viele Eltern, deren Nachwuchs eine der mittlerweile 19 Gemeinschaftsschulen im Rems-Murr-Kreis besucht. So auch Jennifer Schwarz. Denn weil es an keiner dieser Schulen eine gymnasiale Oberstufe gibt, bleibt Jugendlichen, die das Abitur an einer Gemeinschaftsschule machen möchten, nur die Möglichkeit, auf eine Einrichtung jenseits der Kreisgrenzen zu wechseln.

Vor einem Jahr haben Jennifer Schwarz und weitere Eltern aus dem Raum Waiblingen mit einer Online-Petition auf das Dilemma aufmerksam gemacht. Diese fand mehr als tausend Unterstützer, doch viel getan hat sich seitdem trotzdem nicht. Eine von der SPD organisierte Veranstaltung in Waiblingen mit Lehrern, Schülern, Eltern, Politikern und Vertretern der zuständigen Behörden hat nun gezeigt, dass eine gymnasiale Oberstufe wohl nur durch die Zusammenarbeit mehrerer Kommunen Realität werden kann.

Paulowitsch: Kommunen müssen sich an einen Tisch setzen

„Wir kämpfen für eine Oberstufe im Rems-Murr-Kreis, nicht in Waiblingen“, stellte Jennifer Schwarz gleich zu Beginn der Diskussion klar: „Wir stoßen aber an unsere Grenzen.“ Das sei kein Wunder angesichts der „komplizierten Bildungslandschaft“, so Benedikt Paulowitsch, SPD-Kreisvorsitzender und Bürgermeister von Kernen. Denn die Kommunen seien zwar für Schulen, aber nicht für Bildung zuständig. Daher habe jede Kommune nur ihre eigenen Schulen im Blick. Aus seiner Sicht müssten sich die Kommunen, die über eine Gemeinschaftsschule verfügen, aber an einen Tisch setzen.

Laut Stephanie Heitz vom Regierungspräsidium Stuttgart liegt ein Problem im Rems-Murr-Kreis darin, dass es zwar viele Gemeinschaftsschulen gibt, diese aber mit zwei oder drei Zügen nicht sehr groß sind. Das macht es den einzelnen Schulen schwer oder gar unmöglich, die für die Klasse 11 nötige stabile Zahl von 60 Schülern zu erreichen. „Tatsächlich kann die gymnasiale Oberstufe nur dann genehmigt werden, wenn die langfristige Schülerzahlprognose für die Klassenstufe 11 eine Mindestschülerzahl von 60 Schülerinnen und Schüler erwarten lässt“, so Stephanie Heitz: „Steigen mehrere Schulträgerkommunen in eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung ein, könnte der Prognosewert von rund 60 Schülerinnen und Schülern erreicht werden.“

Angesichts dieser Zahl und mangelndem Interesse umliegender Kommunen hatte die Stadt Waiblingen im Jahr 2019 von einem Antrag auf Einrichtung einer Sekundarstufe II Abstand genommen.

Im Landkreis wechseln sehr viele Grundschüler an die Gemeinschaftsschulen

„Wir haben großes Interesse an den Gemeinschaftsschulen“, betonte Sabine Hagenmüller-Gehring vom Staatlichen Schulamt Backnang. Eine Besonderheit im Rems-Murr-Kreis sei, dass besonders viele Grundschüler an die Gemeinschaftsschule wechseln – nämlich rund 25 Prozent, womit man zehn Prozent über dem Landesdurchschnitt liege. Zum Thema gymnasiale Oberstufe habe es angesichts des Vorstoßes der Stadt Waiblingen schon vor Jahren Gespräche gegeben, weiß Hagenmüller-Gehring: „Damals war es schwierig, Kommunen zu motivieren. Jede hat investiert, um eine Gemeinschaftsschule zu etablieren.“ So manche Kommune hatte da die Befürchtung, dass Eltern bei der Einrichtung einer Oberstufe in der Nachbarschaft ihre Kinder gleich dorthin statt in die örtliche Gemeinschaftsschule schicken.

Sandra Vöhringer: Oberstufe sorgt für mehr Schüler auf E-Niveau

Der Vermutung widersprach Sandra Vöhringer, die seit vier Jahren Rektorin der Schickhardt-Gemeinschaftsschule in Stuttgart ist. Diese hat eine gymnasiale Oberstufe und kooperiert mit sieben Gemeinschaftsschulen. Letzteren kämen keine Schüler abhanden, betonte Vöhringer, denn die Eltern wüssten, dass ihre Kinder später problemlos auf die Schickhardt-Schule wechseln können. Stattdessen sei der Effekt einer Oberstufe in der Nähe, dass der Anteil an Schülern, die auf E-Niveau lernen, stark ansteige.

Die Petition der Elterninitiative im Rems-Murr-Kreis sei berechtigt, sagte der Kreisrat Alexander Bauer: „Die gymnasiale Oberstufe ist von Anfang an eine Option gewesen, die vorgesehen war.“ Bauer regte an, der Landkreis könnte eventuell eine Rolle spielen und brachte die Berufsschulen ins Spiel.

Gymnasiale Oberstufe muss gemeinsames Ziel sein

Wolfgang Straub, der Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung (Grüne) wies darauf hin, dass Schulträger mit den Kosten nicht allein gelassen würden: für bauliche Maßnahmen, die im Zuge einer neuen Oberstufe nötig seien, gebe es eine finanzielle Unterstützung von 40 bis 50 Prozent, hinzu komme ein Sachkostenzuschuss des Landes für Schüler, die von auswärts an die Schule kommen. Um die Mindestschülerzahl zu verringern müsste das Schulgesetz geändert werden: „Das ist in dieser Koalition nicht ganz einfach.“

Daher müsse man andere Wege gehen. Er habe die Städte Tübingen und Reutlingen auf dem Weg zur gymnasialen Oberstufe begleitet. Sein Tipp sei damals an alle Beteiligten gewesen, eng zusammenzuarbeiten. Der Rat gelte auch für den Rems-Murr-Kreis, sagte Wolfgang Straub: „Da müssen alle ein gemeinsames Ziel verfolgen: Schulleitungen und Schulträger, Schulverwaltung, Gemeinderäte und Bürgermeister.“

Neuer Schultyp startete 2012

Konzept
 Gemeinschaftsschulen wurden in Baden-Württemberg im Jahr 2012 zur Zeit einer grün-roten Landesregierung eingeführt. Dort werden alle Kinder gemeinsam unterrichtet, können aber in jedem Fach zwischen drei Niveaustufen wählen: Das G-Niveau führt zum Hauptschulabschluss, das M-Niveau zum Realschulabschluss und das E-Niveau zum Abitur. Schüler können damit auf (berufliche) Gymnasien wechseln oder eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe besuchen.

Landkreis
Im Rems-Murr-Kreis wurde die Korber Schule 2012 als erste Schule zur Gemeinschaftsschule. Inzwischen gibt es über den Landkreis verteilt 19 Gemeinschaftsschulen, allerdings bietet bisher keine einzige die Möglichkeit, dort eine Oberstufe zu besuchen und das Abitur abzulegen. In der Umgebung bieten die Stuttgarter Schickhardt-Gemeinschaftsschule und die Schule Innenstadt Esslingen diese Chance.